Sicherlich wartet ihr schon sehnsüchtig auf meine sinnlose Knippserei aus Warschau. Es gibt Dinge, da ist es mir wirklich egal, ob ich sie gut kann, oder nicht. Ich mache es einfach trotzdem. Fotos, zum Beispiel.
Bei anderen Sachen tu‘ ich mich hier schwerer. Französisch, zum Beispiel. Es kommt mir so vor, als hätte jemand mit spitzen Fingernägeln den Belag vom Französisch-Rubbellos gekratzt und darunter wäre nur Polnisch zum Vorschein gekommen, nur noch ein paar graue Fetzen Französisch bleiben.
Die Medaille für die Metaphernkönigin wird heute wohl eher an mir vorbei gereicht werden.
Ich verstehe wirklich nicht, warum sich die meisten Nicht-Warschauer darin einig sind, wie pottenhässlich die Stadt ist. Ich fühle mich wohl da. Hier, Sonne.
Am letzten Tag dieser breit bemeckerten Konferenz besuchen wir eine Ausstellung im Königsschloss über die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg. Eine gute Ausstellung. Und wie das meistens bei so Ausstellungen ist, wird man erschlagen von der Materialmasse. Obwohl sie gut aufgearbeitet und ausgestellt ist. Eigentlich hatten wir auch nur zu wenig Zeit, sonst wäre das Ganze mir nicht so dicht vorgekommen.
Aber Olga und ich mussten die Gruppe zügig verlassen, weil wir unseren Polskibus kriegen wollten. Wir hatten eine Stunde bis zur Haltestelle und Olga wog sich in Sicherheit mit einer so durchorganisierten Deutschen wie mir.
Anna ist dabei, dann kommen wir pünktlich und am richtigen Ort an.
Ihr merkt es schon. Natürlich kommen wir zeitig, 20 Minuten bevor der Bus fahren soll. Schnellen Schrittes gehen wir auf den rot-weißen Bus zu und freuen uns auf W-Lan, Steckdosen und komfortable Sitze. Und entgegen kommt uns ein Warnwesten-Mensch, der hektisch zwischen einer Anzeige hinter sich und seiner Uhr hin – und herwedelt.
Masakra, wir sind am falschen Busbahnhof. Ich verfluche diese Stadt. Warum ist sie so groß und grau und stinkig und voll und warum – cholera jasne – hat sie zwei bekloppte Busbahnhöfe und noch viel schlimmer, warum weiß ich nichts davon?!
Der Zeitdruck rettet mich vor einem Gefühlsausbruch, Wut ist da eigentlich weniger.
Wir sprinten zur Metrostation zurück, unser Ticket gilt vielleicht noch? Die Schranken piepsen, das Ticket kommt am falschen Schlitz wieder heraus, hinter uns drängt das Chaos. Ungültig.
Also ziehen wir uns noch ein 20-Minuten-Ticket. Dann stellen wir fest, dass wir fast von der einen Endstation zur anderen fahren müssen und das 27 Minuten dauert. Jetzt ist eh alles egal, der Bus wird weg sein. Sehr gelassen lehne ich mich an eine Haltestange. Freundlich macht mich eine Frau darauf aufmerksam, dass mein Rucksack offen ist. In dem Moment vermisse ich mein Handy noch nicht, ich mache den Reißverschluss zu und vergesse, dass er offen gewesen ist.
Mit zu den größten polnischen Errungenschaften, Eigenschaften zähle ich Gelassenheit und die Geduld zu warten. Meinetwegen Chopin, Marie Curie, Kopernikus (Eine Diskussion über deren Polnischsein würde den Rahmen sprengen, przykro mi.) – klasse Leute, großartige Leistungen. Aber wenn ein vollgestopfter Reisebus eine halbe Stunde auf zwei Trödelnasen wartet, die einfach eine E-Mail mit der Benachrichtigung, dass ab heute der Bus vom anderen Bahnhof abfährt, ungelesen gelöscht haben, dann finde ich persönlich das enorm. Fast wie die Entdeckung der Radioaktivität.
Oder wenn ich an der Kasse stehe und da erst merke, dass das Vorurteil über meine Durchorganisation sich nicht bewahrheitet hat und ich für meinen Einkauf nicht genügend Geld dabei habe, ich in diesem Supermarkt aber auch nicht mit Karte zahlen kann. Und ich auf meine völlig naive Frage, ob ich vielleicht schnell noch zum Bankautomaten flitzen könnte, ein „Jasne!“ – klar! bekomme. Und dann zu einer Schlange an der Kasse zurückkehre, die längenmäßig der Chinesischen Mauer konkurrieren kann (ist ein ganz schön krasser Supermarkt!) und sich niemand beschwert und ich in wohlwollende Gesichter blicke. Dann bin ich wahnsinnig froh, in Polen gelandet zu sein. Ach was, angekommen zu sein.
„Not gonna happen in Germany?“, Olga ist dabei als ich meine Fassung wiederfinde.
„Not at all.“
Jetzt, wie versprochen, zu dem ersten Softballspiel meines Lebens, das ich je gesehen habe. Und gleichzeitig daran teilgenommen habe und es als Teil des Teams in den Ruin getrieben habe.
Es ist an diesem ersten wirklich sonnigen Samstag im März. Wir werden von einem Mädchen, dessen Name übersetzt „Ente“ ist, abgeholt und mit zu dem Ort gefahren, an dem das Spiel gegen die Demony stattfinden soll. Unser PKW ist der erste, also spazieren wir durch das Kaff und entdecken euphorisch eine Pizzeria, leider geschlossen, trotz so viel Euphorie.
Nach uns kommt ein weiteres Auto, vollgepratscht mit hrabiny. Wirr wird durcheinandergeplappert und weil wir Softball spielen, wird das R auch nicht gerollt, sondern ein amerikanischer Akzent gekünstelt. Ich lache mit, weiß zwar nicht worüber, weiß es eigentlich schon, es ist der Akzent.
Wir warten auf das Trainer-Auto und vier weitere Spielerinnen. Mädels, die das nicht zum allerersten Mal machen. Die schon zig mal von einer Base zur nächsten gesprintet sind und als Catcher nicht belämmert dem Ball entgegenstarren und sich „Ich krieg‘ dich, ich krieg‘ dich, ich krieg‘ dich“ wie ein Mantra mit zusammengepressten Lippen zuwispern müssen.
Aber das Auto kommt nicht. Es ist ungefähr 100km in die falsche Richtung gefahren und kommt erst ungefähr zwei Stunden später, als wir schon ungefähr haushoch verloren haben.
Nach diesen vier Stunden schreien meine Muskeln. Noch bin ich so etwas nicht gewohnt. Es wird.
Das habe ich mir eigentlich auch zu Olgas linker Gesichtshälfte gedacht. Da hat unsere Trainerin karachös einen Softball reingeworfen. Klingt softer, als es ist. Ich habe fest mit einem blauen Auge gerechnet, „es wird!“, dachte ich. Natürlich auf bloßen Lernerfolg bedacht, wir üben wichtige deutsche Vokabeln. Es wäre einfach ein zu schönes Beispiel für „Schadenfreude“ gewesen.
Oh, Olga meint, ich soll noch hinzufügen, dass das eigentlich nur ein Beweis für die tatsächliche Aggressivität der Ukrainer ist. Ihre Haut und Muskeln und was auch immer da anschwillt und blau, grün und gelb werden könnte, ist einfach schon zu vertraut mit so Schmerzen von all den Prügeleien nach zu viel Wodka, da macht so eine läppsche Softballbombe gar nichts mehr, nichts reagiert.
Ach und übrigens. Am Anfang der sechsstündigen Busfahrt merke ich, dass mein Handy weg ist. Der Hustenreiz der Dame neben mir lenkt mich gütigerweise von meinen Befürchtungen ab. Nachdem ich sie mit einem Salbeibonbon versorgen konnte, tauchte auch mein Handy wieder auf. Verrückt, diese Zusammenhänge.