Archiv | März, 2013

Eine Fortsetzung mit Katermuskeln

14 Mär

Sicherlich wartet ihr schon sehnsüchtig auf meine sinnlose Knippserei aus Warschau. Es gibt Dinge, da ist es mir wirklich egal, ob ich sie gut kann, oder nicht. Ich mache es einfach trotzdem. Fotos, zum Beispiel.
Bei anderen Sachen tu‘ ich mich hier schwerer. Französisch, zum Beispiel. Es kommt mir so vor, als hätte jemand mit spitzen Fingernägeln den Belag vom Französisch-Rubbellos gekratzt und darunter wäre nur Polnisch zum Vorschein gekommen, nur noch ein paar graue Fetzen Französisch bleiben.
Die Medaille für die Metaphernkönigin wird heute wohl eher an mir vorbei gereicht werden.

Ich verstehe wirklich nicht, warum sich die meisten Nicht-Warschauer darin einig sind, wie pottenhässlich die Stadt ist. Ich fühle mich wohl da. Hier, Sonne.

Sonnne, Warszawa, Altstadtglück

Sonnne, Warszawa, Altstadtglück

Nicht-Metaphernkönigin im Königsschloss

Nicht-Metaphernkönigin im Königsschloss


Am letzten Tag dieser breit bemeckerten Konferenz besuchen wir eine Ausstellung im Königsschloss über die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg. Eine gute Ausstellung. Und wie das meistens bei so Ausstellungen ist, wird man erschlagen von der Materialmasse. Obwohl sie gut aufgearbeitet und ausgestellt ist. Eigentlich hatten wir auch nur zu wenig Zeit, sonst wäre das Ganze mir nicht so dicht vorgekommen.
Aber Olga und ich mussten die Gruppe zügig verlassen, weil wir unseren Polskibus kriegen wollten. Wir hatten eine Stunde bis zur Haltestelle und Olga wog sich in Sicherheit mit einer so durchorganisierten Deutschen wie mir.
Anna ist dabei, dann kommen wir pünktlich und am richtigen Ort an.
Ihr merkt es schon. Natürlich kommen wir zeitig, 20 Minuten bevor der Bus fahren soll. Schnellen Schrittes gehen wir auf den rot-weißen Bus zu und freuen uns auf W-Lan, Steckdosen und komfortable Sitze. Und entgegen kommt uns ein Warnwesten-Mensch, der hektisch zwischen einer Anzeige hinter sich und seiner Uhr hin – und herwedelt.
Masakra, wir sind am falschen Busbahnhof. Ich verfluche diese Stadt. Warum ist sie so groß und grau und stinkig und voll und warum – cholera jasne – hat sie zwei bekloppte Busbahnhöfe und noch viel schlimmer, warum weiß ich nichts davon?!
Der Zeitdruck rettet mich vor einem Gefühlsausbruch, Wut ist da eigentlich weniger.
Wir sprinten zur Metrostation zurück, unser Ticket gilt vielleicht noch? Die Schranken piepsen, das Ticket kommt am falschen Schlitz wieder heraus, hinter uns drängt das Chaos. Ungültig.
Also ziehen wir uns noch ein 20-Minuten-Ticket. Dann stellen wir fest, dass wir fast von der einen Endstation zur anderen fahren müssen und das 27 Minuten dauert. Jetzt ist eh alles egal, der Bus wird weg sein. Sehr gelassen lehne ich mich an eine Haltestange. Freundlich macht mich eine Frau darauf aufmerksam, dass mein Rucksack offen ist. In dem Moment vermisse ich mein Handy noch nicht, ich mache den Reißverschluss zu und vergesse, dass er offen gewesen ist.

Mit zu den größten polnischen Errungenschaften, Eigenschaften zähle ich Gelassenheit und die Geduld zu warten. Meinetwegen Chopin, Marie Curie, Kopernikus (Eine Diskussion über deren Polnischsein würde den Rahmen sprengen, przykro mi.) – klasse Leute, großartige Leistungen. Aber wenn ein vollgestopfter Reisebus eine halbe Stunde auf zwei Trödelnasen wartet, die einfach eine E-Mail mit der Benachrichtigung, dass ab heute der Bus vom anderen Bahnhof abfährt, ungelesen gelöscht haben, dann finde ich persönlich das enorm. Fast wie die Entdeckung der Radioaktivität.
Oder wenn ich an der Kasse stehe und da erst merke, dass das Vorurteil über meine Durchorganisation sich nicht bewahrheitet hat und ich für meinen Einkauf nicht genügend Geld dabei habe, ich in diesem Supermarkt aber auch nicht mit Karte zahlen kann. Und ich auf meine völlig naive Frage, ob ich vielleicht schnell noch zum Bankautomaten flitzen könnte, ein „Jasne!“ – klar! bekomme. Und dann zu einer Schlange an der Kasse zurückkehre, die längenmäßig der Chinesischen Mauer konkurrieren kann (ist ein ganz schön krasser Supermarkt!) und sich niemand beschwert und ich in wohlwollende Gesichter blicke. Dann bin ich wahnsinnig froh, in Polen gelandet zu sein. Ach was, angekommen zu sein.
„Not gonna happen in Germany?“, Olga ist dabei als ich meine Fassung wiederfinde.
„Not at all.“

Da glaubten wir noch an Zeit für Knipserei

Da glaubten wir noch an Zeit für Knipserei

Jetzt, wie versprochen, zu dem ersten Softballspiel meines Lebens, das ich je gesehen habe. Und gleichzeitig daran teilgenommen habe und es als Teil des Teams in den Ruin getrieben habe.
Es ist an diesem ersten wirklich sonnigen Samstag im März. Wir werden von einem Mädchen, dessen Name übersetzt „Ente“ ist, abgeholt und mit zu dem Ort gefahren, an dem das Spiel gegen die Demony stattfinden soll. Unser PKW ist der erste, also spazieren wir durch das Kaff und entdecken euphorisch eine Pizzeria, leider geschlossen, trotz so viel Euphorie.

Pizzeuphoria

Pizzeuphoria

Nach uns kommt ein weiteres Auto, vollgepratscht mit hrabiny. Wirr wird durcheinandergeplappert und weil wir Softball spielen, wird das R auch nicht gerollt, sondern ein amerikanischer Akzent gekünstelt. Ich lache mit, weiß zwar nicht worüber, weiß es eigentlich schon, es ist der Akzent.
Wir warten auf das Trainer-Auto und vier weitere Spielerinnen. Mädels, die das nicht zum allerersten Mal machen. Die schon zig mal von einer Base zur nächsten gesprintet sind und als Catcher nicht belämmert dem Ball entgegenstarren und sich „Ich krieg‘ dich, ich krieg‘ dich, ich krieg‘ dich“ wie ein Mantra mit zusammengepressten Lippen zuwispern müssen.
Aber das Auto kommt nicht. Es ist ungefähr 100km in die falsche Richtung gefahren und kommt erst ungefähr zwei Stunden später, als wir schon ungefähr haushoch verloren haben.
Nach diesen vier Stunden schreien meine Muskeln. Noch bin ich so etwas nicht gewohnt. Es wird.
Das habe ich mir eigentlich auch zu Olgas linker Gesichtshälfte gedacht. Da hat unsere Trainerin karachös einen Softball reingeworfen. Klingt softer, als es ist. Ich habe fest mit einem blauen Auge gerechnet, „es wird!“, dachte ich. Natürlich auf bloßen Lernerfolg bedacht, wir üben wichtige deutsche Vokabeln. Es wäre einfach ein zu schönes Beispiel für „Schadenfreude“ gewesen.
Oh, Olga meint, ich soll noch hinzufügen, dass das eigentlich nur ein Beweis für die tatsächliche Aggressivität der Ukrainer ist. Ihre Haut und Muskeln und was auch immer da anschwillt und blau, grün und gelb werden könnte, ist einfach schon zu vertraut mit so Schmerzen von all den Prügeleien nach zu viel Wodka, da macht so eine läppsche Softballbombe gar nichts mehr, nichts reagiert.

Hier: Dämonen gegen Gräfinnen

Hier: Dämonen gegen Gräfinnen

Ach und übrigens. Am Anfang der sechsstündigen Busfahrt merke ich, dass mein Handy weg ist. Der Hustenreiz der Dame neben mir lenkt mich gütigerweise von meinen Befürchtungen ab. Nachdem ich sie mit einem Salbeibonbon versorgen konnte, tauchte auch mein Handy wieder auf. Verrückt, diese Zusammenhänge.

Sozialistisches Erbe und Rührei mit Speck

8 Mär

Einen fröhlichen Frauen-Tag allen Frauen da draußen. Das ist eins dieser sozialistischen Relikte, die ich hier immer wieder bemerke. Ein Tag für die Frau. Der wird natürlich auch im Edith-Stein-Haus gefeiert, immerhin hat die Lady sich auch ziemlich für die Rolle der Frau unter all den Chauvis da eingesetzt. Jetzt strahlt ihr Portrait von der einen Salon-Wand und schaut sich das Treiben da an. Gleich wird sich der Salon mit Mädchenkram füllen. Frauen, die ihren Schmuck verkaufen, Frauen, die sich eine Ausstellung mit Portraits von Frauen anschauen, zwei Frauen, die ein Konzert geben, ein Kuchenstand, an dem selbstgebackene Frauen Kuchen verkaufen.
„Ania, kannst du auch einen Kuchen backen, den Erdbeer-sernik vielleicht?“, ich hab den Job. Gerade habe ich in absoluter Rekordzeit die 3 Stockwerte mit meinen Klackerschuhen zurückgelegt, weil mein Handy in einer dermaßen unscheinbaren Leisstärke verkündet hat, dass der Kuchen fertig ist und ich noch munter meinen Teebeutel in den Tee gestippt habe. Es ist ein zu süßer Früchtetee, der hübsche rote Schlieren zieht, fast ein bisschen blutig, aber dafür doch zu violett. Hin. Her. Hübsch. Ich könnte ein schönes Slow-Motion-Video machen – „Ciasto, Kurwa!!“, ich werde mich für meine unflätige Ausdrucksweise nicht entschuldigen, es war ernst. Die Kuchenfarbe ist vergleichbar mit meiner heutigen Strumpfhose und die ist leider nicht gelblich-rosa mit roten Tupfern. Sondern braun, blickdicht.
Braun und blickdicht plumpst mir der Kuchen entgegen. Wahrscheinlich werde ich den Teint ein wenig mit Puderzucker auffrischen.

Frauentagsgrüße

Frauentagsgrüße

Dieses Foto hat übrigens einer unserer neuen Portiers gemacht. Die drei alten Urgestalten wurden durch andere tatsächlich motivierte und tatkräftige Anpacker abgelöst. Hin uns wieder möchte ich frohlockend jauchzen, wenn ich feststelle, der Küchenschrank ist repariert. Der Wasserhanhn wurde ausgetauscht. Die Tür wird nach einer halben Sekunde aufgesperrt. Hach. Ein bisschen vermisse ich „Na piwo idziecie?“ allerdings schon.

Erinnerung, Verantwortung, Zukunft

Fast alle deutschen ASF-Freiwilligen in Polen haben sich überlegt, sich bei einer Konferenz der Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) anzumelden. Bei dieser Konferenz sollten die Ergebnisse einer Pilot-Studie über die Lebenssituation von NS-Opfern heute in Polen vorgestellt werden. So wahnsinnig vom Hocker gerissen hat mich das Thema an sich schon im Vorfeld nicht. Aber ich lasse ungern Gelegenheiten aus, die Gang zu treffen. Außerdem fand das Ganze in Warschau statt. Und das ist tatsächlich immer noch meine Lieblingsstadt in Polen, nach Wroclaw. Vielleicht vermisse ich auch einfach Menschenströme und verstopfte Treppen am U-Bahn-Gleis, ach U-Bahnen generell. Und die hektischen Arbeitsgesichter. Nun, Warschau jedenfalls. Und die Stiftung trägt die Reisekosten. Das heißt, einen Festbetrag bekommt jeder erstattet. Bei mir ist das relativ genau zehnmal so viel, wie ich im Vorhinein bezahlt habe. Manchmal ist auch das finanzielle Leben einer Freiwilligen ein üppiges Frühstücksbuffet mit Rührei und Speck und Obstsalat und Kuchen und Müsli und Joghurt und Croissants und Grapefruitsaft und Milchkaffee und warum habe ich kein Foto davon gemacht.
Mein Hauptgedanke während der dreitägigen Konferenz lautet „Willkommen in der bitteren Erwachsenenwelt“. Während der tatsächlichen Tagungseinheiten ging es eigentlich um Geld, ansehnlich verpackt in Projektentwürfen und Studienergebnissen, die alle nicht repräsentativ sind. Die Stiftung steht am Geldherd und rührt in verschiedenen Töpfen und jeder Eintopf versucht, besonders gut zu schmecken. Sicher, das Meiste davon schmeckt natürlich auch gut. Wahrscheinlich bin ich zu streng, unkritisch und ignorant. So sieht das zumindest mein Notizbuch, das eifrig mit den kleinen Faux-Pas’s der Konferierenden gefüllt wurde. Vielleicht kindisch, unangeracht, korinthenkackerisch. Trotzdem musste ich runzeln und schmunzeln, als ich zitieren konnte „Vor unseren Türen wird keine Selektion betrieben, niemand bekommt eine Sonderbehandlung!“ Herrjee, hat man mich schon so übersensibilisiert? Nun. Jedenfalls saß ich da, mit den Simultankopfhörern auf den Ohren und hielt Übersetzungsversprecher und ungeschickte Wortwahlen fest.
In den Zeiten zwischen den Konferenz-Einheiten, zum Mittagessen oder „Umtrunk“ konnte ich auch ernsthaftere Gedanken fassen. Oder einen Flirtversuch von Pan Stanisław über mich ergehen lassen. Pan Stanisław ist ein krasser Zeitzeuge.
Wir stehen um den Tisch, wir deutschen Freiwilligen und der ehemalige Politische Häftling. Wir trinken Wein, er Bier aus der Flasche. Weil das die Amerikaner auch so machen, das Aroma ist besser. Wir bekommen Komplimente für unsere Frisuren, die würden wirklich ausgesprochen gut zu unserem jeweiligen Gesicht passen. Wie alst wir sind?
Jung, hach – „In eurem Alter, mmmh – Momentchen – da war ich in Mauthausen. Dann Auschwitz.“
Ouh. So ein Gespräch ist für Pan Stanisław wahrscheinlich wie ein Plausch an der Supermarktkasse. Seine blauen Augen blitzen keck. Jetzt begutachtet er unsere Namensschilder. Bei meinem stockt er.
„Kozikowski. Hmmm. Hast du Verwandte in Warschau?“, ein interessierter Blick, nicht prüfend.
„Nicht, dass ich wüsste. Mein Name ist aber nicht so selten hier.“
„Hab bei der Wehrmacht mal einen Kozikowski getroffen, Czesław hieß der, da bin ich mir sicher.“
Supermarktkasse. Ich werde mal bei Familienkundigen nachfragen, ob ein Verwandtschaftsgrad zu einem Czesław aus Warschau besteht.
Pan Stanisławs liebste polnische Stadt ist übrigens Wrocław. Da ist es so viel ruhiger, die Leute sind gelassener. Ja, ach.
In diesen Tagen lässt sich erstmalig auch die Sonne wieder blicken. Grund genug für mich, wahllose Fotos zu knipsen, einfach nur, weil es hell ist und die graue Stadt leuchtet.

Was für ein Ärger. WordPress teilt mir gerade zum wiederholten Male mit, dass beim Upload von diesen sonnigen Fotos ein Fehler unterlaufen ist. Was für ein Schmu.
Nun. Ich melde mich wieder, sobald das wieder klappt. Eigentlich möchte ich doch noch was über ein blaues Auge erzählen und mein erstes ruiniertes Softballspiel! Nächstes Mal.
Ich muss nun mal das bunte Treiben im Salon beobachten.