Tag Archives: Backen

Sozialistisches Erbe und Rührei mit Speck

8 Mär

Einen fröhlichen Frauen-Tag allen Frauen da draußen. Das ist eins dieser sozialistischen Relikte, die ich hier immer wieder bemerke. Ein Tag für die Frau. Der wird natürlich auch im Edith-Stein-Haus gefeiert, immerhin hat die Lady sich auch ziemlich für die Rolle der Frau unter all den Chauvis da eingesetzt. Jetzt strahlt ihr Portrait von der einen Salon-Wand und schaut sich das Treiben da an. Gleich wird sich der Salon mit Mädchenkram füllen. Frauen, die ihren Schmuck verkaufen, Frauen, die sich eine Ausstellung mit Portraits von Frauen anschauen, zwei Frauen, die ein Konzert geben, ein Kuchenstand, an dem selbstgebackene Frauen Kuchen verkaufen.
„Ania, kannst du auch einen Kuchen backen, den Erdbeer-sernik vielleicht?“, ich hab den Job. Gerade habe ich in absoluter Rekordzeit die 3 Stockwerte mit meinen Klackerschuhen zurückgelegt, weil mein Handy in einer dermaßen unscheinbaren Leisstärke verkündet hat, dass der Kuchen fertig ist und ich noch munter meinen Teebeutel in den Tee gestippt habe. Es ist ein zu süßer Früchtetee, der hübsche rote Schlieren zieht, fast ein bisschen blutig, aber dafür doch zu violett. Hin. Her. Hübsch. Ich könnte ein schönes Slow-Motion-Video machen – „Ciasto, Kurwa!!“, ich werde mich für meine unflätige Ausdrucksweise nicht entschuldigen, es war ernst. Die Kuchenfarbe ist vergleichbar mit meiner heutigen Strumpfhose und die ist leider nicht gelblich-rosa mit roten Tupfern. Sondern braun, blickdicht.
Braun und blickdicht plumpst mir der Kuchen entgegen. Wahrscheinlich werde ich den Teint ein wenig mit Puderzucker auffrischen.

Frauentagsgrüße

Frauentagsgrüße

Dieses Foto hat übrigens einer unserer neuen Portiers gemacht. Die drei alten Urgestalten wurden durch andere tatsächlich motivierte und tatkräftige Anpacker abgelöst. Hin uns wieder möchte ich frohlockend jauchzen, wenn ich feststelle, der Küchenschrank ist repariert. Der Wasserhanhn wurde ausgetauscht. Die Tür wird nach einer halben Sekunde aufgesperrt. Hach. Ein bisschen vermisse ich „Na piwo idziecie?“ allerdings schon.

Erinnerung, Verantwortung, Zukunft

Fast alle deutschen ASF-Freiwilligen in Polen haben sich überlegt, sich bei einer Konferenz der Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) anzumelden. Bei dieser Konferenz sollten die Ergebnisse einer Pilot-Studie über die Lebenssituation von NS-Opfern heute in Polen vorgestellt werden. So wahnsinnig vom Hocker gerissen hat mich das Thema an sich schon im Vorfeld nicht. Aber ich lasse ungern Gelegenheiten aus, die Gang zu treffen. Außerdem fand das Ganze in Warschau statt. Und das ist tatsächlich immer noch meine Lieblingsstadt in Polen, nach Wroclaw. Vielleicht vermisse ich auch einfach Menschenströme und verstopfte Treppen am U-Bahn-Gleis, ach U-Bahnen generell. Und die hektischen Arbeitsgesichter. Nun, Warschau jedenfalls. Und die Stiftung trägt die Reisekosten. Das heißt, einen Festbetrag bekommt jeder erstattet. Bei mir ist das relativ genau zehnmal so viel, wie ich im Vorhinein bezahlt habe. Manchmal ist auch das finanzielle Leben einer Freiwilligen ein üppiges Frühstücksbuffet mit Rührei und Speck und Obstsalat und Kuchen und Müsli und Joghurt und Croissants und Grapefruitsaft und Milchkaffee und warum habe ich kein Foto davon gemacht.
Mein Hauptgedanke während der dreitägigen Konferenz lautet „Willkommen in der bitteren Erwachsenenwelt“. Während der tatsächlichen Tagungseinheiten ging es eigentlich um Geld, ansehnlich verpackt in Projektentwürfen und Studienergebnissen, die alle nicht repräsentativ sind. Die Stiftung steht am Geldherd und rührt in verschiedenen Töpfen und jeder Eintopf versucht, besonders gut zu schmecken. Sicher, das Meiste davon schmeckt natürlich auch gut. Wahrscheinlich bin ich zu streng, unkritisch und ignorant. So sieht das zumindest mein Notizbuch, das eifrig mit den kleinen Faux-Pas’s der Konferierenden gefüllt wurde. Vielleicht kindisch, unangeracht, korinthenkackerisch. Trotzdem musste ich runzeln und schmunzeln, als ich zitieren konnte „Vor unseren Türen wird keine Selektion betrieben, niemand bekommt eine Sonderbehandlung!“ Herrjee, hat man mich schon so übersensibilisiert? Nun. Jedenfalls saß ich da, mit den Simultankopfhörern auf den Ohren und hielt Übersetzungsversprecher und ungeschickte Wortwahlen fest.
In den Zeiten zwischen den Konferenz-Einheiten, zum Mittagessen oder „Umtrunk“ konnte ich auch ernsthaftere Gedanken fassen. Oder einen Flirtversuch von Pan Stanisław über mich ergehen lassen. Pan Stanisław ist ein krasser Zeitzeuge.
Wir stehen um den Tisch, wir deutschen Freiwilligen und der ehemalige Politische Häftling. Wir trinken Wein, er Bier aus der Flasche. Weil das die Amerikaner auch so machen, das Aroma ist besser. Wir bekommen Komplimente für unsere Frisuren, die würden wirklich ausgesprochen gut zu unserem jeweiligen Gesicht passen. Wie alst wir sind?
Jung, hach – „In eurem Alter, mmmh – Momentchen – da war ich in Mauthausen. Dann Auschwitz.“
Ouh. So ein Gespräch ist für Pan Stanisław wahrscheinlich wie ein Plausch an der Supermarktkasse. Seine blauen Augen blitzen keck. Jetzt begutachtet er unsere Namensschilder. Bei meinem stockt er.
„Kozikowski. Hmmm. Hast du Verwandte in Warschau?“, ein interessierter Blick, nicht prüfend.
„Nicht, dass ich wüsste. Mein Name ist aber nicht so selten hier.“
„Hab bei der Wehrmacht mal einen Kozikowski getroffen, Czesław hieß der, da bin ich mir sicher.“
Supermarktkasse. Ich werde mal bei Familienkundigen nachfragen, ob ein Verwandtschaftsgrad zu einem Czesław aus Warschau besteht.
Pan Stanisławs liebste polnische Stadt ist übrigens Wrocław. Da ist es so viel ruhiger, die Leute sind gelassener. Ja, ach.
In diesen Tagen lässt sich erstmalig auch die Sonne wieder blicken. Grund genug für mich, wahllose Fotos zu knipsen, einfach nur, weil es hell ist und die graue Stadt leuchtet.

Was für ein Ärger. WordPress teilt mir gerade zum wiederholten Male mit, dass beim Upload von diesen sonnigen Fotos ein Fehler unterlaufen ist. Was für ein Schmu.
Nun. Ich melde mich wieder, sobald das wieder klappt. Eigentlich möchte ich doch noch was über ein blaues Auge erzählen und mein erstes ruiniertes Softballspiel! Nächstes Mal.
Ich muss nun mal das bunte Treiben im Salon beobachten.

Hymnen, Relativität und auch hier ein #aufschrei

31 Jan

„Deutschland, Deutschland ÜBER alles heißt das doch, also nicht pod, unter.“, erklärt Pan Sławek engagiert gestikulierend seiner verwirrten Mitschschülerin. Mit ein bisschen Phantasie kann ich seinen wedelnden Arm einen Hitlergruß interpretieren. Vollkommen logisch, wie sonst sollte er die Präposition „über“ ohne gestreckten Arm demonstrieren? Trotzdem muss ich grinsen. Er sitzt da so unschuldig auf seinem Stuhl, vor ihm ein Notizbuch voller penibelst feinsäuberlicher Schönschrift und zitiert mit ordentlichem polnischen Akzent die missbrauchte Strophe des Deutschlandliedes.
Präpositionen sind kein leichtes Thema, daher passt es ganz gut zur deutschen Nationalhymne, scheint Pan Sławek intuitiv entschieden zu haben. Bevor ich meine betagten Deutschschüler darüber aufklären kann, dass die ersten beiden Strophen der Hymne heute normalerweise flach fallen, plappert Pan Sławek munter weiter – auf Polnisch, Deutsch nicht ist einfach.
In dieser Deutschstunde wiederholen wir die Präpositionen, mit dem „Sprechdachs“, ein Spiel für Vorschulkinder, geht das ganz gut. Erschrocken merke ich, dass meine Schüler das Spielen erst wieder lernen müssen. Völlig steif sitzen sie vor ihren Karten, lassen anderen den Vortritt und riskieren als Verlierer aus dem Spiel zu gehen. Ich unterrichte ab jetzt nicht nur Deutsch, sondern auch Spielfreude! (Zuerst habe ich „Kampfgeist“ getippt. Fühlte sich dann doch seltsam an in diesem ganzen geschichtsgeschädigten Kontext. Bekloppte Sache.)
Einer meiner Schüler wünscht sich, das nächste Mal übers Wetter zu reden.
Dank meiner augezeichneten Erziehung kann ich mir mein Augenverdrehen noch knapp verkneifen. Wetter. Wie ich Gespräche übers Wetter liebe, ich Wetterfrosch. Ich ignoriere meinen Drang, die Herrschaften wissen zu lassen, dass ich hauptsächlich die Gespräche schätze, die irgendwie, wenn so eben möglich, ums Wetter drumrum kommen.
Hier geht es ja auch kein bisschen darum, worüber ich jetzt gerne mal ein Pläuschchen halten würde. Natürlich gehört Wetter-Smalltalk zu den „Must have“s des Fremdsprachentrends! Wetter ist ein zeitloses In-Thema, um weiter in unangebrachter Modemagazinsprache herumzutapsen.
Zufällig habe ich tatsächlich ein Arbeitsblatt zum Wetterthema kopiert.
Co to jest, ‚Blitz‘?“, fragt Pani Bogusia nichtsahnend, was Pan Sławek für eine Erklärung für sie bereithält.
„BLITZKRIEG, moja kochana!“, bricht es aus ihm raus, ein emotionsgeladener Monolog folgt. Ich hätte nicht gedacht, das jemals zu sagen: Hoffentlich ging es am Ende doch wieder ums Wetter.

Heute war es dann endlich so weit. Die 40 Seiten Bewerbungspipapo für das trilaterale „New Perspective“-Slowmotion-Projekt sind unterwegs zu den Leuten, die alles akribisch prüfen und den Workshop hoffentlich für ganz ganz großes Kino und förderungswürdig halten.
Bei der Auswahl der polnischen Teilnehmer hatten Olga und ich wieder einiges zu lachen und in unsere Alltagsgespräche aufzunehmen.
„Well, Anna. Do you wanna make a schedule? I know.. it’s very diffucult for you to show your emotions, but I can see it – you really want to make schedule. Ordnung muss sein, right?“
„Mmh, Olga. Could you please stop it? I mean, seriously – look at you and your slutty outfit. This skirt, oh my god. Okay, I understand, you’re just here to marry a western man, because in your country they are all addicted to wodka and quite aggressive..“

Die Wahrnehmung, was jetzt westlich oder östlich oder europäisch ist, ist hier auch eine andere. Polen ist dermaßen mitteleuropäisch. Was anderes steht eigentlich nicht zur Debatte. Eine der polnischen Bewerberinnen schrieb, sie habe ja auch ost-europäische Wurzeln, weiß also aus Erzählungen, wie es in Osteuropa so zugeht.
Und deutsche Freunde fragen mich, wie es denn so ist, da im „tiefsten Osten“.

Polen: Containerkunst und Fiat Polski

Polen: Containerkunst und Fiat Polski

Schön ist es, aber nicht tief, vor allem kein Tiefschnee.
Ein kleines Wetter-Update? Schnee ist wieder Wasser, Wind schmeckt nach Frühling – Wir können ihn kaum erwarten.
Kein Tag vergeht, ohne dass wir uns vorstellen, wie unser Feierabend weitergehen würde, wenn jetzt Frühling wär. Im Duck’s Park, lesend auf der Wiese, zum Beispiel. Spazierend im japanischen Garten eventuell. Bei den kitschigen Fontänen, bestimmt. Aber noch ist es nicht so weit. Noch ist Vorfreude, Winterklackern, Tee und Tannenbaum.
Tatsächlich. Auf dem Marktplatz steht immer noch das goldsilbern blinkende Monstrum, während in Köln jecke Jecken ihre Lieder grölen.
Gegen winterliche Depressionserscheinungen hilft Essen ganz gut. Kochen und Backen auch schon, das eine bedingt meistens das andere. Das kulinarische Highlight der Woche bildete eine Gemüse-Lachs-Tarteund Schoko-Bananenkuchen auf Olgas Wunsch. Gut, die Form einer Tarte muss man sich dazu vorstellen, so was Ausgefallenes bietet unser Backblech-Kuchenform-Topfschrank nicht. Nach drei Stunden Werkelei in der Küche war unser Hunger aus dem Grundschulalter raus und steckte mitten drin in der Pubertät. Essen, JETZT!, schrieen unsere Mägen. Umso besser schmeckte alles.
Ein bisschen ungeduldig gab ich der Tarte ohne Form den Namen Frühlingskuchen. Enttäuscht stellte ich drei Minuten später fest, dass schlawinistischen Erfinder der Frühlingsrolle mir mit ihrer Frühlinssehnsucht bei der Namensgebung wohl zuvor gekommen sind. Wenigstens ist „Frühlingskuchen“ an sich schon unkreativ, da ist es nicht so enttäuschend, dass es so was Unausgefallenes schon gibt.
Wirklich schade fand ich, dass sich nach einer intensiven Woche voller Borschtsch (enorm gute Rote-Beete-Suppe, eng. beet root) herausstellte, dass es „DJ BeatRoot“ schon gibt. Eigentlich war eine talentfreie Karriere als schlechteste DJane des Westens mein Zukunftsplan B gewesen.

Eine prise Salz

Eine prise Salz

Achtung, aggressive Ukrainerin. "Küchenunfall"

Achtung, aggressive Ukrainerin. „Küchenunfall“

Ansonsten werde ich meinetwegen die schlechteste Fotografin, irgendwer muss den Job ja machen.
Auf unserem Nachhauseweg einer unserer wohlverdienten Feierabend-Kneipen-Erkundungstouren sahen wir auf der Oder ungefähr zehn oder 15 Schwäne auf dem Eis hocken. Ein paar schwammen schon im aufgetauten Wasser, glucksten vor sich hin. Wir glucksten auch, die sahen einfach so zufrieden aus, dass man nur glucksen konnte. Fotografisches Festhalten unmöglich.

Schwanenfluss

Schwanenfluss

Ach, und das liegt nicht an zu hohem „Barman“-Konsum! Ich erzähle euch jetzt nicht, was genau dieser Drink beinhaltet, sonst kommt wieder ein #aufschrei aus der Heimat.

Wigilia und Barszczplantscherei

20 Dez

Als ich in die Küche komme, strahlen mir sieben Kinderköpfe entgegen. Die dazugehörigen Hände sind vollgepratscht mit Butter, Eiern, Mehl. Es ist offensichtlich, dass sich wärend meines kurzen Einkaufs die Küche in die Weihnachtsbäckerei von Żółty Parasol verwandelt hat. Żółty Parasol ist eine Organisation, die hier im Haus Nachmittagsprogramm für Kinder, Jugendliche und Senioren aus dem eher ärmlicheren Viertel hier anbietet.
Natürlich können die gerne unsere hübsche Küche benutzen, ich bin doch keine alte, verbitterte Katzenfrau, die Menschen nicht leiden kann – ich mag Menschen! Und backende erst recht!
Putzen mag ich eigentlich auch. Aber vielleicht hätten Olga und ich unseren anmutigen Weihnachtsputz gestern Abend auf heute verlegt und nicht ganz so gründlich mit diesen furchtbaren Wischmöpsen rumhantiert.

Weihnachtszeit in Polen, da packt auch mich das Back – und Putzfieber! Mit meiner Putz-Playlist und aufgedrehten Boxen arbeite ich vielleicht nicht besonders effektiv, aber amüsiert. Da ich den Zustand meiner keine-Lust-zu-zählen-vielen Wände vor niemandem rechtfertigen muss, ist das aber nicht weiter tragisch. Wenn Gäste kommen, werden die Wischmöpse Gassi geführt.
Im Backen sind wir deutlich effizienter. Ein Samstagmittag, dreieinhalb Stunden backen, kein einziger Keks verbrannt und unsere acht Backblechladungen schmecken tatsächlich. Mir kommt es vor, als hätten Olga und ich jahrelang nichts anderes gemacht, als zusammen in der Küche zu werkeln – wir sind ein so eingespieltes Team. Wer das Rezept ausgesucht hat, dirigiert ein bisschen, die andere schnibbelt und wiegt. Flops gibt es nicht.

Spaßbacken

Spaßbacken

Es ist der 20. Dezember und ich habe schon meine dritte Weihnachtsfeier hinter mir.

kolędy-Singen mit dem Polnischkurs

Morgens um Acht stapfe ich dick eingepackt zur Haltestelle, verpasse S-Bahn Nummer 23, nehme also die Sechs und gehe das letzte Stück zu Fuß. Wie immer quietscht die Eingangstür beim Öffnen. Ich würde das Geräusch vermissen, wenn sich daran je etwas ändern sollte.
Meine Polnischlehrerin öffnet mir, sie hat heute Geburtstag! Ich gratuliere, überreiche ihr ein Tütchen mit den selbstgebackenen Apfel-Zimt-Keksen, Weiße-Schokolade-Cranberry-Cookies und Schoko-Walnuss-Ecken. Völlige Völlerei, wenn ich mir den gedeckten, fast vollständig bedeckten Tisch angucke. Mandarinen, sernik, piernik und makowiec, ein einladend ausladendes Adventsgesteck, Tee und Kaffee springen mich an.
Aber zuerst singen! Okay. Also gut. Polnische Weihnachtslieder, abgesehen von „Cicha noc“ (Stille Nacht.), sind mir die Melodien nur wage bekannt, aber ich schmetter mit meiner Lehrerin um die wette, während mein Kollege sich allergrößte Mühe gibt, aber doch ein wenig singschüchtern durch die Lieder holpert. Dabei singen wir sogar zu einer unglaublich kitschigen Karaoke-DVD! Begeistert beobachte ich, wie Fotos von Schneelandschaften sich mit ikonenhaften Jesuskindchen über den Laptopbildschirm ziehen. Was macht diese Sprache bloß mit mir. Vor Monaten hätte ich mich angewidert weggedreht, üüäh, was ein Kitsch. Ohrenkrebs! Gut, das Arrangement ist nicht schön. Aber die Lieder an sich, die Essenz, doch. Die schon.
Schön ist auch, dass meine Lehrerin mir eine CD mit Weihnachtsliedern schenkt. Noch habe ich nicht hineingehört, es war zu trubulös hier. Außerdem hat sie mir obłatek mitgegeben, wisst ihr was das ist? Geduldet euch noch einen Moment.

Pierogi mit dem Vorstand
Am gleichen Tag findet die zweite Weihnachtsfeier statt. Den Vormittag verbringen wir mit den Vorbereitungen. Ein pieksiger Weihnachtsbaum wird im Salon aufgestellt, ein anderer Weihnachtsbusch unten in der Diele. Lichterketten machen mich fertig. Ein Jahr haben sie in Augustes Schrank gestaubt und sich verheddert. Jetzt werden sie warm , der Staub schmilzt und es riecht nach verkokeltem Kabel. Blöd, dass es mit Licherspaß dann doch irgendwie schöner ist. Ziemlich schön sogar. So, dass die krasse Schieflage des Pieksbaums gar nicht auffällt!
Fake-Geschenke sind eingepackt, der Tisch gedeckt, die Pierogi gebraten, der Barszcz erhitzt – der Vorstand der Edith-Stein-Gesellschaft kann kommen.
Nach einem kurzen Gebet wird obłatek geteilt. Das sind hauchdünne Oblaten, jeder bekommt ein Stück und dann wird jede Person abgeklappert. Ich stehe fremden Menschen gegenüber, vielleicht habe ich sie einmal gesehen. Wir halten uns unsere Oblaten entgegen, brechen vom anderen ein kleines Stückchen ab. Das ist der Wunsch-Moment. Jetzt wünscht man dem anderen etwas fürs nächste Jahr. Die Klassiker: Gesundheit, Liebe, Erfolg, Zeit.
Ich kenne die Tradition schon von meinen feinen aber kräftigen polnischen Wurzeln, stehe also nicht völlig überrumpelt da, als ich von unbekannten Menschen fest in den Arm genommen werde und mir alles Allerbeste gewünscht wird. Das ist eine ganz andere Situation als die kreischenden Umarmer in der Grundschule am Nikolaustag. Das hier ist ehrlich, persönlicher. Auch, wenn ich die Leute nicht kenne, glaube ich in dem Augenblick daran, dass ihre Wünsche für mich in Erfüllung gehen, sie sind direkt an mich gerichtet.
Mir gefällt das.
Sowieso. All diese Traditionen hier finde ich klasse. In diesem so fleischlastigen Land wird ausgerechnet Weihnachten fleischlos verbracht! Das macht doch mal wirklich Sinn. Deutsche haben vielleicht die Würstchen-mit-Kartoffelsalat-Variante, aber wie viele machen das tatsächlich und was macht das Würstchen da eigentlich?

Pieksbaum, Ola und ich

Pieksbaum, Ola und ich

Mitarbeiterbarszcz
Mal wieder Barszcz, aber ich steh voll drauf. Dieser Rote-Beete-Saft verträgt sich nicht besonders gut mit meiner katastrophalen Ungeschicklichkeit, aber wir haben uns arrangiert. Vergesst alles, was ihr bisher über Katerfrühstücke meint gewusst zu haben. Nie wieder Kater ohne Barszcz! So salzig-heiß ist man schnell wieder frisch.
Völlig alkoholfrei treffen wir uns heute im kleineren Kreis. Wir wichteln, essen, kleckern uns voll und teilen wieder oblatek. Auch Pan Jozef aus der Portiersloge hat sich zu uns gesellt. Gemütlich alles, irgendwie.
Olga vergleicht ihre Situation mit einem Juden, der in einer Moschee am Gebet teilnimmt.
„It’s fun but… I don’t get it.“
Als wir uns für die Weihnachtstage von einander verabschieden, meint sie, sie hätte auch gerne mal so ein Familien-Weihnachten. Aber da sie orthodox ist und ihre Familie nicht wirklich religiös, gab’s auch nie ein richtiges Weihnachten.

Barszczglück

Barszczglück

So. Jetzt muss ich mal packen. Ich habe schon eingecheckt und hoffe jetzt, dass das Flughafenpersonal mir meine Tollpatschigkeit nachsieht – ich habe beim Buchen meinem Vornamen mit meinem Nachnamen vertauscht und das nicht mehr rückgängig machen können, ich Nuss.
Tatsächlich, ich freue mich auch ziemlich auf Zuhause-Menschen. Ich hoffe, ich bin nicht genervt von eurem Deutschsein. Das ist mir beim Seminar letzte Woche passiert. Andere Geschichte, hät mich jetzt nur vom Packen ab.
Wir sehen uns. Oder nicht.

Ach, textet mich einfach, wenn ihr meinen ersten Projektbericht lesen möchtet. Steht eigentlich nichts drin, was ihr nicht schon wissen könntet, aber ach, wie ihr meint.