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Von Steinen, Eierfotos und der Stadt der Löwen – Annas Ukraine No.1

7 Mai

Ich bin zurück. Nach 23 Stunden Zug und Bus durch Ukraine und Polen und einem sonnigen Ausschlaftag kann ich jetzt meinen Lieblingskaffee in einem der Lieblingscafés in Wrocław trinken und versuchen, euch einen Bruchteil meiner ukrainischen Eindrücke einzuflößen wie meinen schwarzen Aeropress-Kaffee, der meinen Kopf gerade durchpustet. Hoffentlich schafft er es, all die Reize der letzten Tage zu ordnen und den Brei der langen Reise zu in Würfelzuckergröße zu packen.

Auf die Plätze
Es geht los. Dienstagabend um 23.47 geht unser Zug nach Krakau. Die erfahrenen Polen-Zugfahrer werden sich fragen, warum in Teufels Namen wir denn um diese Uhrzeit mit diesem furchtbar vollgestopften Zug sechs Stunden auf den Schienen verbringen, wenn wir doch einfach den Link-Bus nehmen könnten und in drei komfortablen Stunden am Halbziel angekommen sein könnten. Sie werden allerdings auch wissen, dass das deutlich teurer als Zugfahren ist.
Während ich unter einer blutenden dicken Softballlippe vom Training vor ein paar Stunden leide, erleidet Olga einen kleinen Kulturschock. Dass Züge so vollgepackt mit lauten und schwitzigen Hartschalenkofferleuten gepackt sein können, hat sie bisher nicht gewusst. Da liegen Leute im Gang!
Da lobe ich mir das Survival Training, das ab und zu bei der Deutschen Bahn inklusive angeboten wird.
Olga sitzt in einem anderen Abteil und schafft es tatsächlich, zu schlafen. Bei mir tümmelt sich der grölende Pöbel, der den ganzen Wagon wachhält. Ein safteres Wort als „Pöbel“ fällt mir nicht ein, die ganze Fahrt über nicht – dabei habe ich ausreichend Zeit zum Überlegen, der Schlafluxus bleibt mir vergönnt.
Der zweite Zug ist angenehmer, deutlich. Ich schlafe bis fast zur polnisch-ukrainischen Grenze. Bis zur tatsächlichen Grenze bringt uns ein Rappelbus, in dem Olga eine Bekannte trifft, mit der wir bis nach Lviv weiterfahren. An der Grenze lernen wir noch einen Polen kennen, der ganz froh ist, ortskundige Hilfe zu bekommen – ich wäre ohne Olga wahrscheinlich auch überaufgeschmissen bei all dem Kyrillisch.
Nachdem mein terroristisches Reisepassbild zweimal kritisch mit meinem freundlichen Grinsegesicht verglichen wurde, fahren wir mit dem Bus durch die blühende Apfelbaumlandschaft. Und dann kommen wir in Lviv, der Stadt der Löwen, an.

Lviv
Wir übernachten und speisen köstlich bei der Familie einer Freundin von Olga. Meine zwei Wörter Ukrainisch reichen, um mit der Mutter z kommunizieren, die Tochter war mit dem gleichen Programm wie Olga in den USA, da ist mehr Gespräch möglich.
Vielleicht hätte ich Olga nicht erzählen sollen, dass mein Vater sich viele ansehnliche Fotos des Ukraine-Abenteuers wünscht, denn ab jetzt scheucht sie mich durch die Stadt und platziert mich zwischen Löwen, ukrainischen Ostereiern und willkürlichen Fotomotiven.

"Ich mach ein Foto, Anna in den Straßen von Lviv, ok?"

„Ich mach ein Foto, Anna in den Straßen von Lviv, ok?“

Ei und Nachmacher im Hintergrund

Ei und Nachmacher im Hintergrund

Löwenkram und meine unfassbare Lust auf gestellte Fotos

Löwenkram und meine unfassbare Lust auf gestellte Fotos

Die Stadt gefällt mir, aber sie ist so gar nicht, wie ich mir eine ukrainische Stadt vorgestellt habe. Aber ich höre von allen Seiten, das Lviv unvergleichbar mit anderen Städten ist. Ehrlich gesagt, finde ich das schon. Sie erinnert mich an polnische Städte, vielleicht ein bisschen romantischer. Löwenstatuen tümmeln sich rund um den Rynek, ebenso die Touristen. Von meiner platten Aussage, dass ich die Stadt mag, ist Olga enttäuscht. Ich höre mir zum wiederholten Mal an, dass ich ein deutscher Stein ohne Emotionen bin – warum bin ich nicht so euphorisch wie sie? Dann erzählt mir Olga, dass Lviv für sie eine Urlaubsstadt ist, ein Ort zum Ausspannen, mit dem sie tolle Zeit mit tollen Leuten verbindet. Es sind die Erinnerungen, die dort entstehen, die die Stadt so besonders machen.
Wir machen uns also daran, Erinnerungen zu schaffen. Am ersten Abend treffen wir Johannes und Clara, ASFler auf der Ukrainedurchreise, das lange Wochenende wissen wir wohl alle gut zu nutzen. Später tingeln wir mit Freunden von Olgas Freundin weiter und fallen irgendwann sehr k.o. ins Bett, endlich, ein Bett, keine harte Zuganlehne.

Ein voller nächster Tag. Zuerst streifen Olga und ich durch die Pflastersteinstraßen und genießen. Der ganze Trip ist ein dicker fetter Genuss. Wir steigen hinab in Kaffeeminen und Kellerkneipen. Wir quetschen uns Treppenhäuser hoch und besteigen Aussichtstürme, essen ukrainische Gerichte, deren Namen ich mir nicht merken kann und handgemachte Pralinen.

Rathausblick

Rathausblick

Wysoki Zamek Spaß

Wysoki Zamek Spaß

Da oben haben wir dann den Polen vom Grenzübergang wiedergetroffen – die Welt ist so klein. Mit ihm, seinem Bruder und einem Freund haben wir sind wir dann weitergezogen zu einer Kneipe mit eigenem ungefiltertem Bier. Wir reden hauptsächlich Polnisch, aber Olgas ukrainische Freundin antwortet meistens auf Englisch. Das hört ein Nachbartischsmensch aus Kanada und klingt sich ins Gespräch mit ein, dazu kommt später sein deutscher Warschau-Erasmusfreund und aus einem Bier werden zwei. Plötzlich endet der Abend abrupt: Wir müssen unseren Zug nach Kiev kriegn. Also tschüss und wer weiß, die Welt ist klein.

Nachtzug
Im Vorhinein hat Olga ein kaltes Horrorszenario an meine Hirnrinde plakatiert. Sie verglich polnische Nachtzüge mit Baracken in Auschwitz. Makaber wegen Unmöglichkeits des Vergleich. Dementsprechend alamiert und aufs Schlimmste gefasst betrete ich also den Zug. Wenn es in Polen schon so furchtbar sein sollte, wie sieht es dann bitte in der Ukraine aus? Ich will mich ja überhaupt nicht als voruteilsfrei brüsten.
Als ich unseren Schlafbereich sehe, denke ich an ein Paradies in Rot-Samt. Gemütlich, wohltemperiert und sogar noch ausgestattet mit einem interessaten Liegen-Nachbarn, dessen verflixten Namen ich immer wieder vergesse.
Er zählt von seiner Per-Anhalter-durch-Europa-Tour und lädt uns ein, mit ihm und seinen Kumpels wandern zu gehen. Allerdings checkt er zuerst unsere politische Haltung ab, weil seine Freunde „krasse Marxisten“ sind und er keine Lust auf riesige Reibereien hat. Aha, ok. Wir überlegen uns das.
Ich werde von jungen Sonnenstrahlen durch Zuggardinen geweckt und dann kommt auch schon eine Zugbegleiterin und fragt, ob wir Tee oder Kaffee wollen. Tee, bitte. Und dazu essen wir frisch gebackenes Osterbrot von unserer Gastmutter in Lviv. „Osterbrot für einen veganen Atheisten“, kommentiert unsere Zugbekanntschaft trocken sein regelbrechendes Zugfrühstück.

Guten Morgen, guter Morgen

Guten Morgen, guter Morgen

So, der erste Teil der Reise ist geschafft. Vom zweiten Teil erzähle ich euch demnächst mehr. Von verschwitzten Rucksackrücken und einsamen Zarenparks und viel mehr kleinen Sachen.

Osterschnee

3 Apr

In der Straßenbahn sitze ich am Fenster, die Sonne strahlt mir ins Gesicht und mein Gesicht strahlt zurück. Draußen beobachte ich eine lange Menschenschlange vor der besten Bäckerei der Stadt, beim Plac Bema. Ein Mann mit Hut liest Zeitung, die Frau hinter ihm knabbert an ihren Fingernägeln, Kinder spielen Fangen und werden von ihren Müttern ermahnt, nicht auf die Straße zu laufen. Neben mir fährt eine andere Bahn ein. Jetzt sitzt am Fenster gegenüber ein freundliches Faltengesicht. Ich muss lächeln, breit sogar, mit Zähnen. Zuerst muss der ältere Herr stutzen, dann grinst er zurück. Seine Dritten leuchten. Plöztlich hebt er seine Hände zum Himmel und lacht jetzt richtig. Ja, Sonne! Dann zeigt er auf mich. Segnet er mich gerade? Seine Geste hat etwas Sakrales. Vielleicht wünscht er mir auch Frohe Ostern. Was auch immer seine Gesten bedeuten, jetzt mache ich mit. Bis meine Bahn weiterfährt, gehen meine Hände immer wieder zum Himmel und dann in seine Richtung. Ein Sonnentanz in der Straßenbahn.

Ich könnte jedes Mal tanzen, wenn die Sonne hier durchbricht, und ich würde nicht schnell müde werden. Der Winter ist hart. Es ist ein kleiner Trost, dass es in Deutschland gerade nicht besser ist. Gerade tanzen die Flocken vor dem Fenster. Irgendwas tanzt immer.

Es ist schon länger her, dass ich das letzte mal geschrieben habe. Wahrscheinlich liegt das an dem vorherrschenden Gedanken „Wie drücke ich das jetzt diplomatisch aus?“ in meinem Kopf. Klingt das jetzt, als würde ich verzweifelt unter diesem frostigen, furchtbaren Winterzustand leiden? Ganz so schlimm war es nicht, ich leide ja nicht alleine.

Länger als eine Woche ist die Heizung ausgefallen. Das bedeutet gleichzeitig: Kein warmes Wasser. Und stundenweise müssen wir auch auf Strom verzichten. Wie das mit den Gründen dafür aussieht, möchte ich nicht genauer erläutern, qualifizierte und neutrale Äußerungen kann ich dazu eh nicht liefern.
Das ganze grausam ausgekühlte Haus bringt aber auch Vorteile mit sich. So dürfen wir leere Bürotage unter drei Decken im Bett verbringen, anstatt im Büro eher die Zeit abzusitzen. Und Backen bekommt eine ganz neue Bedeutung. Backen gegen die Kälte, Kochen gegen den Frost. Mit Elektroheizkörpern ist auch so Einiges möglich. Und meine Toleranz gegenüber kaltem Duschwasser ist enorm gestiegen. Ist gar nicht so schlimm, wenn man es mal besser kennenlernt!
Hartschalig und kulturschockimmun stehe ich das gut durch. Olga zeigt sich sichtlich beeindruckt, wie wenig ich ausraste, wo dieser Zustand doch gar nicht deutschem Standart entspricht. Aber ist ja eigentlich auch klar. Deutsche sind an sich ja schon eher kühl. Und Gefühle zeigen wir ja auch nicht.

Schablonenkunst auf Nachhausewegswand

Schablonenkunst auf Nachhausewegswand

Eine Flucht aus der Kälte bietet mir das Vorbereitungsseminar für die Sommerlager im Kaff bei Berlin. Weil es mit einer Mitfahrgelegenheit schnell und günstiger geht, fahre ich schon einen Tag vorher. Ich bin mit drei Polen im Auto und freue mich schon auf stammelige Unterhaltung, aber als ich an der Tankstelle im Gewerbegebiet dazusteige, bleibt „Dzień dobry, oh großer Rucksack!“ der einzige Gesprächsanlauf. Der Fahrer schweigt, der Beifahrer mampft geschmacksverstärkte Schokohörchen, meine Sitznachbarin löst seufzend Sudokus und ich spüre später an meinem ausgetrockneten Hals, dass ich unschön mit offendem Mund geschorchelt habe. Als wir ankommen, ist es schon dunkel und ich stapfe durch den Schnee zur berliner ASF-Freiwilligen-WG. Kann ich mich in Polen mittlerweile auf meine Orientierung verlassen, versagt sie in Berlin jämmerlich. Aber irgendwann komme ich an.
Aus einem „Ich habe Lust, die Freiwilligen in Berlin auch mal kennenzulernen, wie wär’s mit ’nem Bier oder so?“ wird nicht nur ein Bier und nicht nur eine Kneipe und plötzlich wird aus Nacht Morgen und ich mache mich mit flauem Magen auf zum Seminar in Werftpfuhl, wo auch mit dem Auswahlseminar letztes Jahr im Januar meine ASF-Karriere begann.

Ein bisschen ist es wie Nach-Hause-Kommen, das Essen ist wie immer hervorragend und  es ist schön, ein paar andere Nicht-Polen-Freiwillige zu treffen und andere Teamer von Sommerlagern kennenzulernen.
Mit Grażyna aus Wrocław werde ich Mitte Mai das Sommerlager hier auf dem Jüdischen Friedhof organisieren. Was genau das heißt, weiß ich zwar noch nicht, aber das Seminar lässt es erahnen und macht Lust auf Sommer, Unkrautjäten, interessante Leute Kennenlernen und Kultur in Wroclaw. Spannend ist für mich auch, dass die Teilnehmer bei uns hauptsächlich älter als 40 Jahre sind und ich ein bisschen mitverantwortlich für deren Wohlergehen bin.

Ansonsten bringt das Seminar noch die größte anzunehmende Kompetenz fürs Acitvityspielen. Vermutlich hat jetzt keiner mehr Lust, mit mir Activity zu spielen, da „Oaar, nee – du kennst ja alle Karten auswendig!“.

Gruppenfotos, hurra! ASF-SoLa-Teamer.

Gruppenfotos, hurra! ASF-SoLa-Teamer.

Die Hinfahrt nach Berlin war trotz schlaftrockenem Hals traumhaft, wenn ich sie mit der Tuckerzugfahrt auf dem Rückweg vergleiche. Den ersten Zug kann ich noch genießen, dicke Sonnenstrahlen tauchen Ostdeutschland und dann Westpolen in Gold. Dann steige ich in Poznan um und muss eine Stunde im zugigen Bahnhof verbringen. Ich lasse mich mit meinem Rucksack neben zwei übel riechenden Gestalten nieder, der eine redet mit den Tauben, der andere kommt auf mich zu.
Przepraszam bardzo, nie mamy dachu nad głową.“, Entschuldigung, wir haben kein Dach über dem Kopf.
Ja, das kann ich wohl erkennen. Mit flehenden Augen erzählt er mir, wie lange er jetzt auf der Straße lebt. Ich frage ihn, wie es dazu kommt, verstehe die Antwort aber nicht. Ich bitte ihn, langsamer zu sprechen. Das klappt gut. Jetzt kommt die gut verständliche Bitte um etwas Kleingeld.
Wofür genau, möchte ich wissen. Von den Punks am Rynek bin ich die Antwort, „Bier, hatte heute noch gar keins!“ gewohnt, taktisch noch nicht so ausgeklügelt.
Aber der Mann vom Bahnhof in Poznan erzählt mir, dass er und der Taubenmann heute noch nichts gegessen haben. Ob ich wohl etwas Geld und Herz für etwas zu essen hätte?
Bis zu diesem Zeitpunkt hat mich dieses ganze Gespräch schon ziemlich angerührt. Als ich dann sicher gehen will, dass mein Geld auch in Essen investiert wird, und ich vorschlage, dass ich mitkomme, wenn er sich etwas kauft, winkt er energisch ab. Nein, nein! Ich solle selbst entscheiden, wieviel ich geben möchte und was die beiden essen sollen und er wolle mich auch nicht bedrängen – also wenn ich Lust hätte, könnte ich zum Beispiel einen Hot Dog mitbringen, wenn ich da jetzt in diesen Laden reingehen würde.
Mehr als überschwänglich bedanken sich die beiden für die Hot Dogs, wünschen mir Glück und eine gute Reise und ich mache mich verdattert über dieses obdachlose Gespräch und auf zum Gleis, auf dem schon der Bummelzug nach Wroclaw steht.

Dort angekommen erwartet mich eine Woche voll Besuch! Der erste Teil hat Wetterglück, der zweite Schneesturm – aber wir machen das Beste draus. Ich führe gerne durch die Stadt, erzähle, was ich weiß und hier mag und freue mich, wenn Gäste sich in „meiner“ Stadt wohl fühlen.

Jetzt bin ich tatsächlich wieder besuchslos. So blieb mir Zeit, an der Krisensitzung des Softballteams teilzunehmen – wir haben die Halle nur bis Ende März gemietet und können ab jetzt eigentlich nur im Stadion trainieren. Sehr praktisch, jetzt müssen wir gar keine Softbälle zum Training mitbringen. Schneebälle sind genug da.
Olga hat erzählt, dass die Leute in Kiev gerade Ski auf der Hauptstraße fahren. That’s the spirit. Ich meine, das kommt für mich zwar talentbedingt nicht infrage, aber die Einstellung gefällt mir.
Und mit Philosophengrüntee und dicken Socken gefällt mir der Schnee draußen eigentlich auch. Das macht sich Gute-Laune-Haushaltsmäßig auch einfach besser.

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Eine Fortsetzung mit Katermuskeln

14 Mär

Sicherlich wartet ihr schon sehnsüchtig auf meine sinnlose Knippserei aus Warschau. Es gibt Dinge, da ist es mir wirklich egal, ob ich sie gut kann, oder nicht. Ich mache es einfach trotzdem. Fotos, zum Beispiel.
Bei anderen Sachen tu‘ ich mich hier schwerer. Französisch, zum Beispiel. Es kommt mir so vor, als hätte jemand mit spitzen Fingernägeln den Belag vom Französisch-Rubbellos gekratzt und darunter wäre nur Polnisch zum Vorschein gekommen, nur noch ein paar graue Fetzen Französisch bleiben.
Die Medaille für die Metaphernkönigin wird heute wohl eher an mir vorbei gereicht werden.

Ich verstehe wirklich nicht, warum sich die meisten Nicht-Warschauer darin einig sind, wie pottenhässlich die Stadt ist. Ich fühle mich wohl da. Hier, Sonne.

Sonnne, Warszawa, Altstadtglück

Sonnne, Warszawa, Altstadtglück

Nicht-Metaphernkönigin im Königsschloss

Nicht-Metaphernkönigin im Königsschloss


Am letzten Tag dieser breit bemeckerten Konferenz besuchen wir eine Ausstellung im Königsschloss über die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg. Eine gute Ausstellung. Und wie das meistens bei so Ausstellungen ist, wird man erschlagen von der Materialmasse. Obwohl sie gut aufgearbeitet und ausgestellt ist. Eigentlich hatten wir auch nur zu wenig Zeit, sonst wäre das Ganze mir nicht so dicht vorgekommen.
Aber Olga und ich mussten die Gruppe zügig verlassen, weil wir unseren Polskibus kriegen wollten. Wir hatten eine Stunde bis zur Haltestelle und Olga wog sich in Sicherheit mit einer so durchorganisierten Deutschen wie mir.
Anna ist dabei, dann kommen wir pünktlich und am richtigen Ort an.
Ihr merkt es schon. Natürlich kommen wir zeitig, 20 Minuten bevor der Bus fahren soll. Schnellen Schrittes gehen wir auf den rot-weißen Bus zu und freuen uns auf W-Lan, Steckdosen und komfortable Sitze. Und entgegen kommt uns ein Warnwesten-Mensch, der hektisch zwischen einer Anzeige hinter sich und seiner Uhr hin – und herwedelt.
Masakra, wir sind am falschen Busbahnhof. Ich verfluche diese Stadt. Warum ist sie so groß und grau und stinkig und voll und warum – cholera jasne – hat sie zwei bekloppte Busbahnhöfe und noch viel schlimmer, warum weiß ich nichts davon?!
Der Zeitdruck rettet mich vor einem Gefühlsausbruch, Wut ist da eigentlich weniger.
Wir sprinten zur Metrostation zurück, unser Ticket gilt vielleicht noch? Die Schranken piepsen, das Ticket kommt am falschen Schlitz wieder heraus, hinter uns drängt das Chaos. Ungültig.
Also ziehen wir uns noch ein 20-Minuten-Ticket. Dann stellen wir fest, dass wir fast von der einen Endstation zur anderen fahren müssen und das 27 Minuten dauert. Jetzt ist eh alles egal, der Bus wird weg sein. Sehr gelassen lehne ich mich an eine Haltestange. Freundlich macht mich eine Frau darauf aufmerksam, dass mein Rucksack offen ist. In dem Moment vermisse ich mein Handy noch nicht, ich mache den Reißverschluss zu und vergesse, dass er offen gewesen ist.

Mit zu den größten polnischen Errungenschaften, Eigenschaften zähle ich Gelassenheit und die Geduld zu warten. Meinetwegen Chopin, Marie Curie, Kopernikus (Eine Diskussion über deren Polnischsein würde den Rahmen sprengen, przykro mi.) – klasse Leute, großartige Leistungen. Aber wenn ein vollgestopfter Reisebus eine halbe Stunde auf zwei Trödelnasen wartet, die einfach eine E-Mail mit der Benachrichtigung, dass ab heute der Bus vom anderen Bahnhof abfährt, ungelesen gelöscht haben, dann finde ich persönlich das enorm. Fast wie die Entdeckung der Radioaktivität.
Oder wenn ich an der Kasse stehe und da erst merke, dass das Vorurteil über meine Durchorganisation sich nicht bewahrheitet hat und ich für meinen Einkauf nicht genügend Geld dabei habe, ich in diesem Supermarkt aber auch nicht mit Karte zahlen kann. Und ich auf meine völlig naive Frage, ob ich vielleicht schnell noch zum Bankautomaten flitzen könnte, ein „Jasne!“ – klar! bekomme. Und dann zu einer Schlange an der Kasse zurückkehre, die längenmäßig der Chinesischen Mauer konkurrieren kann (ist ein ganz schön krasser Supermarkt!) und sich niemand beschwert und ich in wohlwollende Gesichter blicke. Dann bin ich wahnsinnig froh, in Polen gelandet zu sein. Ach was, angekommen zu sein.
„Not gonna happen in Germany?“, Olga ist dabei als ich meine Fassung wiederfinde.
„Not at all.“

Da glaubten wir noch an Zeit für Knipserei

Da glaubten wir noch an Zeit für Knipserei

Jetzt, wie versprochen, zu dem ersten Softballspiel meines Lebens, das ich je gesehen habe. Und gleichzeitig daran teilgenommen habe und es als Teil des Teams in den Ruin getrieben habe.
Es ist an diesem ersten wirklich sonnigen Samstag im März. Wir werden von einem Mädchen, dessen Name übersetzt „Ente“ ist, abgeholt und mit zu dem Ort gefahren, an dem das Spiel gegen die Demony stattfinden soll. Unser PKW ist der erste, also spazieren wir durch das Kaff und entdecken euphorisch eine Pizzeria, leider geschlossen, trotz so viel Euphorie.

Pizzeuphoria

Pizzeuphoria

Nach uns kommt ein weiteres Auto, vollgepratscht mit hrabiny. Wirr wird durcheinandergeplappert und weil wir Softball spielen, wird das R auch nicht gerollt, sondern ein amerikanischer Akzent gekünstelt. Ich lache mit, weiß zwar nicht worüber, weiß es eigentlich schon, es ist der Akzent.
Wir warten auf das Trainer-Auto und vier weitere Spielerinnen. Mädels, die das nicht zum allerersten Mal machen. Die schon zig mal von einer Base zur nächsten gesprintet sind und als Catcher nicht belämmert dem Ball entgegenstarren und sich „Ich krieg‘ dich, ich krieg‘ dich, ich krieg‘ dich“ wie ein Mantra mit zusammengepressten Lippen zuwispern müssen.
Aber das Auto kommt nicht. Es ist ungefähr 100km in die falsche Richtung gefahren und kommt erst ungefähr zwei Stunden später, als wir schon ungefähr haushoch verloren haben.
Nach diesen vier Stunden schreien meine Muskeln. Noch bin ich so etwas nicht gewohnt. Es wird.
Das habe ich mir eigentlich auch zu Olgas linker Gesichtshälfte gedacht. Da hat unsere Trainerin karachös einen Softball reingeworfen. Klingt softer, als es ist. Ich habe fest mit einem blauen Auge gerechnet, „es wird!“, dachte ich. Natürlich auf bloßen Lernerfolg bedacht, wir üben wichtige deutsche Vokabeln. Es wäre einfach ein zu schönes Beispiel für „Schadenfreude“ gewesen.
Oh, Olga meint, ich soll noch hinzufügen, dass das eigentlich nur ein Beweis für die tatsächliche Aggressivität der Ukrainer ist. Ihre Haut und Muskeln und was auch immer da anschwillt und blau, grün und gelb werden könnte, ist einfach schon zu vertraut mit so Schmerzen von all den Prügeleien nach zu viel Wodka, da macht so eine läppsche Softballbombe gar nichts mehr, nichts reagiert.

Hier: Dämonen gegen Gräfinnen

Hier: Dämonen gegen Gräfinnen

Ach und übrigens. Am Anfang der sechsstündigen Busfahrt merke ich, dass mein Handy weg ist. Der Hustenreiz der Dame neben mir lenkt mich gütigerweise von meinen Befürchtungen ab. Nachdem ich sie mit einem Salbeibonbon versorgen konnte, tauchte auch mein Handy wieder auf. Verrückt, diese Zusammenhänge.

Sozialistisches Erbe und Rührei mit Speck

8 Mär

Einen fröhlichen Frauen-Tag allen Frauen da draußen. Das ist eins dieser sozialistischen Relikte, die ich hier immer wieder bemerke. Ein Tag für die Frau. Der wird natürlich auch im Edith-Stein-Haus gefeiert, immerhin hat die Lady sich auch ziemlich für die Rolle der Frau unter all den Chauvis da eingesetzt. Jetzt strahlt ihr Portrait von der einen Salon-Wand und schaut sich das Treiben da an. Gleich wird sich der Salon mit Mädchenkram füllen. Frauen, die ihren Schmuck verkaufen, Frauen, die sich eine Ausstellung mit Portraits von Frauen anschauen, zwei Frauen, die ein Konzert geben, ein Kuchenstand, an dem selbstgebackene Frauen Kuchen verkaufen.
„Ania, kannst du auch einen Kuchen backen, den Erdbeer-sernik vielleicht?“, ich hab den Job. Gerade habe ich in absoluter Rekordzeit die 3 Stockwerte mit meinen Klackerschuhen zurückgelegt, weil mein Handy in einer dermaßen unscheinbaren Leisstärke verkündet hat, dass der Kuchen fertig ist und ich noch munter meinen Teebeutel in den Tee gestippt habe. Es ist ein zu süßer Früchtetee, der hübsche rote Schlieren zieht, fast ein bisschen blutig, aber dafür doch zu violett. Hin. Her. Hübsch. Ich könnte ein schönes Slow-Motion-Video machen – „Ciasto, Kurwa!!“, ich werde mich für meine unflätige Ausdrucksweise nicht entschuldigen, es war ernst. Die Kuchenfarbe ist vergleichbar mit meiner heutigen Strumpfhose und die ist leider nicht gelblich-rosa mit roten Tupfern. Sondern braun, blickdicht.
Braun und blickdicht plumpst mir der Kuchen entgegen. Wahrscheinlich werde ich den Teint ein wenig mit Puderzucker auffrischen.

Frauentagsgrüße

Frauentagsgrüße

Dieses Foto hat übrigens einer unserer neuen Portiers gemacht. Die drei alten Urgestalten wurden durch andere tatsächlich motivierte und tatkräftige Anpacker abgelöst. Hin uns wieder möchte ich frohlockend jauchzen, wenn ich feststelle, der Küchenschrank ist repariert. Der Wasserhanhn wurde ausgetauscht. Die Tür wird nach einer halben Sekunde aufgesperrt. Hach. Ein bisschen vermisse ich „Na piwo idziecie?“ allerdings schon.

Erinnerung, Verantwortung, Zukunft

Fast alle deutschen ASF-Freiwilligen in Polen haben sich überlegt, sich bei einer Konferenz der Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) anzumelden. Bei dieser Konferenz sollten die Ergebnisse einer Pilot-Studie über die Lebenssituation von NS-Opfern heute in Polen vorgestellt werden. So wahnsinnig vom Hocker gerissen hat mich das Thema an sich schon im Vorfeld nicht. Aber ich lasse ungern Gelegenheiten aus, die Gang zu treffen. Außerdem fand das Ganze in Warschau statt. Und das ist tatsächlich immer noch meine Lieblingsstadt in Polen, nach Wroclaw. Vielleicht vermisse ich auch einfach Menschenströme und verstopfte Treppen am U-Bahn-Gleis, ach U-Bahnen generell. Und die hektischen Arbeitsgesichter. Nun, Warschau jedenfalls. Und die Stiftung trägt die Reisekosten. Das heißt, einen Festbetrag bekommt jeder erstattet. Bei mir ist das relativ genau zehnmal so viel, wie ich im Vorhinein bezahlt habe. Manchmal ist auch das finanzielle Leben einer Freiwilligen ein üppiges Frühstücksbuffet mit Rührei und Speck und Obstsalat und Kuchen und Müsli und Joghurt und Croissants und Grapefruitsaft und Milchkaffee und warum habe ich kein Foto davon gemacht.
Mein Hauptgedanke während der dreitägigen Konferenz lautet „Willkommen in der bitteren Erwachsenenwelt“. Während der tatsächlichen Tagungseinheiten ging es eigentlich um Geld, ansehnlich verpackt in Projektentwürfen und Studienergebnissen, die alle nicht repräsentativ sind. Die Stiftung steht am Geldherd und rührt in verschiedenen Töpfen und jeder Eintopf versucht, besonders gut zu schmecken. Sicher, das Meiste davon schmeckt natürlich auch gut. Wahrscheinlich bin ich zu streng, unkritisch und ignorant. So sieht das zumindest mein Notizbuch, das eifrig mit den kleinen Faux-Pas’s der Konferierenden gefüllt wurde. Vielleicht kindisch, unangeracht, korinthenkackerisch. Trotzdem musste ich runzeln und schmunzeln, als ich zitieren konnte „Vor unseren Türen wird keine Selektion betrieben, niemand bekommt eine Sonderbehandlung!“ Herrjee, hat man mich schon so übersensibilisiert? Nun. Jedenfalls saß ich da, mit den Simultankopfhörern auf den Ohren und hielt Übersetzungsversprecher und ungeschickte Wortwahlen fest.
In den Zeiten zwischen den Konferenz-Einheiten, zum Mittagessen oder „Umtrunk“ konnte ich auch ernsthaftere Gedanken fassen. Oder einen Flirtversuch von Pan Stanisław über mich ergehen lassen. Pan Stanisław ist ein krasser Zeitzeuge.
Wir stehen um den Tisch, wir deutschen Freiwilligen und der ehemalige Politische Häftling. Wir trinken Wein, er Bier aus der Flasche. Weil das die Amerikaner auch so machen, das Aroma ist besser. Wir bekommen Komplimente für unsere Frisuren, die würden wirklich ausgesprochen gut zu unserem jeweiligen Gesicht passen. Wie alst wir sind?
Jung, hach – „In eurem Alter, mmmh – Momentchen – da war ich in Mauthausen. Dann Auschwitz.“
Ouh. So ein Gespräch ist für Pan Stanisław wahrscheinlich wie ein Plausch an der Supermarktkasse. Seine blauen Augen blitzen keck. Jetzt begutachtet er unsere Namensschilder. Bei meinem stockt er.
„Kozikowski. Hmmm. Hast du Verwandte in Warschau?“, ein interessierter Blick, nicht prüfend.
„Nicht, dass ich wüsste. Mein Name ist aber nicht so selten hier.“
„Hab bei der Wehrmacht mal einen Kozikowski getroffen, Czesław hieß der, da bin ich mir sicher.“
Supermarktkasse. Ich werde mal bei Familienkundigen nachfragen, ob ein Verwandtschaftsgrad zu einem Czesław aus Warschau besteht.
Pan Stanisławs liebste polnische Stadt ist übrigens Wrocław. Da ist es so viel ruhiger, die Leute sind gelassener. Ja, ach.
In diesen Tagen lässt sich erstmalig auch die Sonne wieder blicken. Grund genug für mich, wahllose Fotos zu knipsen, einfach nur, weil es hell ist und die graue Stadt leuchtet.

Was für ein Ärger. WordPress teilt mir gerade zum wiederholten Male mit, dass beim Upload von diesen sonnigen Fotos ein Fehler unterlaufen ist. Was für ein Schmu.
Nun. Ich melde mich wieder, sobald das wieder klappt. Eigentlich möchte ich doch noch was über ein blaues Auge erzählen und mein erstes ruiniertes Softballspiel! Nächstes Mal.
Ich muss nun mal das bunte Treiben im Salon beobachten.