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Osterschnee

3 Apr

In der Straßenbahn sitze ich am Fenster, die Sonne strahlt mir ins Gesicht und mein Gesicht strahlt zurück. Draußen beobachte ich eine lange Menschenschlange vor der besten Bäckerei der Stadt, beim Plac Bema. Ein Mann mit Hut liest Zeitung, die Frau hinter ihm knabbert an ihren Fingernägeln, Kinder spielen Fangen und werden von ihren Müttern ermahnt, nicht auf die Straße zu laufen. Neben mir fährt eine andere Bahn ein. Jetzt sitzt am Fenster gegenüber ein freundliches Faltengesicht. Ich muss lächeln, breit sogar, mit Zähnen. Zuerst muss der ältere Herr stutzen, dann grinst er zurück. Seine Dritten leuchten. Plöztlich hebt er seine Hände zum Himmel und lacht jetzt richtig. Ja, Sonne! Dann zeigt er auf mich. Segnet er mich gerade? Seine Geste hat etwas Sakrales. Vielleicht wünscht er mir auch Frohe Ostern. Was auch immer seine Gesten bedeuten, jetzt mache ich mit. Bis meine Bahn weiterfährt, gehen meine Hände immer wieder zum Himmel und dann in seine Richtung. Ein Sonnentanz in der Straßenbahn.

Ich könnte jedes Mal tanzen, wenn die Sonne hier durchbricht, und ich würde nicht schnell müde werden. Der Winter ist hart. Es ist ein kleiner Trost, dass es in Deutschland gerade nicht besser ist. Gerade tanzen die Flocken vor dem Fenster. Irgendwas tanzt immer.

Es ist schon länger her, dass ich das letzte mal geschrieben habe. Wahrscheinlich liegt das an dem vorherrschenden Gedanken „Wie drücke ich das jetzt diplomatisch aus?“ in meinem Kopf. Klingt das jetzt, als würde ich verzweifelt unter diesem frostigen, furchtbaren Winterzustand leiden? Ganz so schlimm war es nicht, ich leide ja nicht alleine.

Länger als eine Woche ist die Heizung ausgefallen. Das bedeutet gleichzeitig: Kein warmes Wasser. Und stundenweise müssen wir auch auf Strom verzichten. Wie das mit den Gründen dafür aussieht, möchte ich nicht genauer erläutern, qualifizierte und neutrale Äußerungen kann ich dazu eh nicht liefern.
Das ganze grausam ausgekühlte Haus bringt aber auch Vorteile mit sich. So dürfen wir leere Bürotage unter drei Decken im Bett verbringen, anstatt im Büro eher die Zeit abzusitzen. Und Backen bekommt eine ganz neue Bedeutung. Backen gegen die Kälte, Kochen gegen den Frost. Mit Elektroheizkörpern ist auch so Einiges möglich. Und meine Toleranz gegenüber kaltem Duschwasser ist enorm gestiegen. Ist gar nicht so schlimm, wenn man es mal besser kennenlernt!
Hartschalig und kulturschockimmun stehe ich das gut durch. Olga zeigt sich sichtlich beeindruckt, wie wenig ich ausraste, wo dieser Zustand doch gar nicht deutschem Standart entspricht. Aber ist ja eigentlich auch klar. Deutsche sind an sich ja schon eher kühl. Und Gefühle zeigen wir ja auch nicht.

Schablonenkunst auf Nachhausewegswand

Schablonenkunst auf Nachhausewegswand

Eine Flucht aus der Kälte bietet mir das Vorbereitungsseminar für die Sommerlager im Kaff bei Berlin. Weil es mit einer Mitfahrgelegenheit schnell und günstiger geht, fahre ich schon einen Tag vorher. Ich bin mit drei Polen im Auto und freue mich schon auf stammelige Unterhaltung, aber als ich an der Tankstelle im Gewerbegebiet dazusteige, bleibt „Dzień dobry, oh großer Rucksack!“ der einzige Gesprächsanlauf. Der Fahrer schweigt, der Beifahrer mampft geschmacksverstärkte Schokohörchen, meine Sitznachbarin löst seufzend Sudokus und ich spüre später an meinem ausgetrockneten Hals, dass ich unschön mit offendem Mund geschorchelt habe. Als wir ankommen, ist es schon dunkel und ich stapfe durch den Schnee zur berliner ASF-Freiwilligen-WG. Kann ich mich in Polen mittlerweile auf meine Orientierung verlassen, versagt sie in Berlin jämmerlich. Aber irgendwann komme ich an.
Aus einem „Ich habe Lust, die Freiwilligen in Berlin auch mal kennenzulernen, wie wär’s mit ’nem Bier oder so?“ wird nicht nur ein Bier und nicht nur eine Kneipe und plötzlich wird aus Nacht Morgen und ich mache mich mit flauem Magen auf zum Seminar in Werftpfuhl, wo auch mit dem Auswahlseminar letztes Jahr im Januar meine ASF-Karriere begann.

Ein bisschen ist es wie Nach-Hause-Kommen, das Essen ist wie immer hervorragend und  es ist schön, ein paar andere Nicht-Polen-Freiwillige zu treffen und andere Teamer von Sommerlagern kennenzulernen.
Mit Grażyna aus Wrocław werde ich Mitte Mai das Sommerlager hier auf dem Jüdischen Friedhof organisieren. Was genau das heißt, weiß ich zwar noch nicht, aber das Seminar lässt es erahnen und macht Lust auf Sommer, Unkrautjäten, interessante Leute Kennenlernen und Kultur in Wroclaw. Spannend ist für mich auch, dass die Teilnehmer bei uns hauptsächlich älter als 40 Jahre sind und ich ein bisschen mitverantwortlich für deren Wohlergehen bin.

Ansonsten bringt das Seminar noch die größte anzunehmende Kompetenz fürs Acitvityspielen. Vermutlich hat jetzt keiner mehr Lust, mit mir Activity zu spielen, da „Oaar, nee – du kennst ja alle Karten auswendig!“.

Gruppenfotos, hurra! ASF-SoLa-Teamer.

Gruppenfotos, hurra! ASF-SoLa-Teamer.

Die Hinfahrt nach Berlin war trotz schlaftrockenem Hals traumhaft, wenn ich sie mit der Tuckerzugfahrt auf dem Rückweg vergleiche. Den ersten Zug kann ich noch genießen, dicke Sonnenstrahlen tauchen Ostdeutschland und dann Westpolen in Gold. Dann steige ich in Poznan um und muss eine Stunde im zugigen Bahnhof verbringen. Ich lasse mich mit meinem Rucksack neben zwei übel riechenden Gestalten nieder, der eine redet mit den Tauben, der andere kommt auf mich zu.
Przepraszam bardzo, nie mamy dachu nad głową.“, Entschuldigung, wir haben kein Dach über dem Kopf.
Ja, das kann ich wohl erkennen. Mit flehenden Augen erzählt er mir, wie lange er jetzt auf der Straße lebt. Ich frage ihn, wie es dazu kommt, verstehe die Antwort aber nicht. Ich bitte ihn, langsamer zu sprechen. Das klappt gut. Jetzt kommt die gut verständliche Bitte um etwas Kleingeld.
Wofür genau, möchte ich wissen. Von den Punks am Rynek bin ich die Antwort, „Bier, hatte heute noch gar keins!“ gewohnt, taktisch noch nicht so ausgeklügelt.
Aber der Mann vom Bahnhof in Poznan erzählt mir, dass er und der Taubenmann heute noch nichts gegessen haben. Ob ich wohl etwas Geld und Herz für etwas zu essen hätte?
Bis zu diesem Zeitpunkt hat mich dieses ganze Gespräch schon ziemlich angerührt. Als ich dann sicher gehen will, dass mein Geld auch in Essen investiert wird, und ich vorschlage, dass ich mitkomme, wenn er sich etwas kauft, winkt er energisch ab. Nein, nein! Ich solle selbst entscheiden, wieviel ich geben möchte und was die beiden essen sollen und er wolle mich auch nicht bedrängen – also wenn ich Lust hätte, könnte ich zum Beispiel einen Hot Dog mitbringen, wenn ich da jetzt in diesen Laden reingehen würde.
Mehr als überschwänglich bedanken sich die beiden für die Hot Dogs, wünschen mir Glück und eine gute Reise und ich mache mich verdattert über dieses obdachlose Gespräch und auf zum Gleis, auf dem schon der Bummelzug nach Wroclaw steht.

Dort angekommen erwartet mich eine Woche voll Besuch! Der erste Teil hat Wetterglück, der zweite Schneesturm – aber wir machen das Beste draus. Ich führe gerne durch die Stadt, erzähle, was ich weiß und hier mag und freue mich, wenn Gäste sich in „meiner“ Stadt wohl fühlen.

Jetzt bin ich tatsächlich wieder besuchslos. So blieb mir Zeit, an der Krisensitzung des Softballteams teilzunehmen – wir haben die Halle nur bis Ende März gemietet und können ab jetzt eigentlich nur im Stadion trainieren. Sehr praktisch, jetzt müssen wir gar keine Softbälle zum Training mitbringen. Schneebälle sind genug da.
Olga hat erzählt, dass die Leute in Kiev gerade Ski auf der Hauptstraße fahren. That’s the spirit. Ich meine, das kommt für mich zwar talentbedingt nicht infrage, aber die Einstellung gefällt mir.
Und mit Philosophengrüntee und dicken Socken gefällt mir der Schnee draußen eigentlich auch. Das macht sich Gute-Laune-Haushaltsmäßig auch einfach besser.

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