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Von Kotlett in Kiev, noch mehr Eiern und der Hauptstadt im Park – Annas Ukraine No.2

22 Mai

In der Zwischenzeit ist schon wieder so viel passiert. Meine Waden sind zum Mückenparadies geworden, mein Oberschenkel zur Zeckenherberge. Der Auftakt der ASF-Sommerlager-Saison. Mehr davon nicht jetzt, ich vertröste euch aufs nächste Mal.

Die Eindrücke aus der Ukraine konnten sich ein bisschen setzen, wahrscheinlich bekomme ich es aber gar nicht mehr so genau auf die Reihe, wann was genau war. Das liegt nicht daran, dass ich mit gutem ukrainischen Wodka die entscheidenden Gehirnzellen ins Universum katapultiert hätte. Oder wohin auch immer die sich verabschieden. Ich habe überhaupt gar keinen Wodka in der Ukraine getrunken. Dafür viel frischen Kwas (googelt es, mmmmmh.) und so was wie Honigwein.
Prima, Anna. Klischee erfüllt, direkt mit dem Alkohol angefangen.

Kiev
In Kiev geht es sehr unalkoholisch und früh morgens und frisch los. Gegen halbneun betreten wir, zugausgeschlafen, einen sonnigen, menschenleeren Zarenpark. Ein riesengrünes Gelände. Ich staune. So verlassen! Aber klar, Menschen arbeiten und wir sind die einzigen, die entspannt durch die Gegend schlendern. Ein paar Hundeleute streunen umher, zufällig wirkende Tulpenbeete, Sonnenstrahlen brechen durch das schattige Laub.

Einsames Grün

Einsames Grün

Olga zeigt mir ihren Lieblingsplatz. Als zur vollen Stunde Märchenmusik erklingt, muss ich noch mehr an Prinzessinnenschloss denken. Wir sitzen auf der Bank und ich will nie wieder aufstehen. Höchstens, um mir die Zähne zu putzen und nochmal richtig zu frühstücken. Ach so. Ich soll raten, was das für ein Gebäude ist. Ich stelle mich dumm an. Lieber gebe ich Rätsel auf, als selbst zu kniffeln. Und es ist ja irgendwie doch noch früh.
„Common, it’s so easy“, okay. Das Puppentheater. Genug gerätselt, ich habe Hunger jetzt.

Das Prinzessinnenschloss

Das Prinzessinnenschloss

Frühstück. Von meiner morgendlichen Müsli-Idee verabschiede ich mich schnell. Frühstück im deutschen Sinn ist nicht drin. Aber ich lasse mich gerne drauf ein, viel Essen geht meistens, warm auch – ich bin da unstreng.
Hier merke ich, dass es eigentlich egal ist, wann man was isst. „Wann man was isst“ gibt es nicht. Iss‘ was du willst, wann du willst. Brötchen und so Firlefanz, Aufschnitt, Pipapo, so was steht nicht auf dem Programm.
An kalter Suppe und kiever Kotlett finde ich schnell Gefallen. Zuhause angekommen werde ich vielleicht auf den absurden Gedanken kommen, dass das fürs Frühstück völlig unpassend ist. Losgelöst von jeglicher Konvention lassen wir es uns schmecken. Mein Organismus gewöhnt sich schnell daran, dass es jetzt öfter als sonst Fettiges gibt. Falls das abschätzig klingt, verstehen wir uns falsch. Ich steh‘ auf ukrainisches Essen, egal zu welcher Uhrzeit.

Fröhlich fettes Frühstück

Fröhlich fettes Frühstück

Wir treiben weiter durch die Stadt. Uns begegnen einige deutsche Reisegruppen. Ich muss wohl nicht erwähnen, wie wir sie schon vom erkennen können. Während mich diese deutschen Touristenscharen eher nerven, freut sich Olga, dass sie die ukrainische Wirtschaft hübsch ankurbeln. Und mir fallen die ganzen russischen Touristen überhaupt nicht auf, während Olga sich über den russischen Akzent amüsiert. Ich kann den Unterschied zwischen ukrainischem Russisch und russischem Russisch nicht so ganz festmachen, aber da ist mein Westohr wohl zu ungeschult für.

Goldener Glanz beim Stadtspaziergang

Goldener Glanz beim Stadtspaziergang

Abends führt Olga mich noch in verlassene Ecken der Innenstadt. Irgendwie kommt es mir so vor, als sei alles und nichts Innenstadt. Da es überall grün aus der Erde schießt, fühle ich mich wie in einem riesigen Park. Wie eine Hauptstadt fühlt es sich nicht an. Auch, weil so viele über Ostern die Stadt verlassen, urechte Kiever ibt es wohl nicht so viele, die meisten sind Immis, die es zu so österlichen Festlichkeiten nach Hause zieht.
So sind wir fast alleine bei einem Fort, das sich plötzlich hinter einer gemütlichen Wohnanlage und fast neben dem neuen Stadion auftaucht. Um Poser-Fotos komme ich nicht drumrum. Ich verdrehe die Augen, weiß ich da ja noch nicht, was für Sessions morgen auf mich zukommen werden.

Ein Fort, lach mal!

Ein Fort, lach mal!

"Play soccer!" - "Really..you don't wanna see that." - "I do, go on!"

„Play soccer!“ – „Really..you don’t wanna see that.“ – „I do, go on!“

Bierabend am Fluss mit Sand zwischen den Zehen, es ist Sommer.

Als ich Olgas Mutter kennenlerne, liege ich mit Sandmann im Auge im Bett. Abgemacht war, dass Olga ihre Mutter vom Bahnhof abholt und die beiden mich dann später gegen zehn abholen. Um acht klopft es. Um neun hätte mein Wecker geklingelt. Guten Morgen, keine Ahnung, was das auf Russisch heißt. Das ist leider die einzige Sprache, die Olgas Mama spricht, aber das macht nichts. Ich mag sie trotzdem. Ein bisschen ähnelt sie tatsächlich dieser Puppe, die sie Olga mal genäht hat.
Während die beiden draußen rauchen, mache ich mich katzenwäschefertig. Wir wollen in einen Park (als ob die ganze Stadt nicht schon parkig genug wäre), so eine Art Freilichtmuseum. Freieimuseum passt besser. Endlich wieder ukrainische Eier, endlich wieder gestellte Fotos!
Von Fotos vor Willkürlichem scheint Olgas Mama auch ein großer Fan zu sein. Beim Versuch, mich „entspannt“ aussehend auf einem morschen Zaun zu platzieren, zerstöre ich das Teil. Olga feixt. So was machen sonst nur Romancharaktere, aber sie feixt wirklich. Und erstellt gefakete Vorher/Nachher-Bilder. Was für ein Triumph: Anna kommt in die Ukraine und macht was kaputt, klassisches deutsches Verhalten. Ich habe unseren gemeinsamen Humor sehr liebgewonnen.

Allerlei Ei

Allerlei Ei


Eiersalat mit Olgas Mama

Eiersalat mit Olgas Mama

In diesem Freilichtmuseum wandelt allerlei Folklore. Aber nicht so kitschig, nervig, sondern irgendwie – soll ich „süß“ sagen? Ja, süße Folklore. Wir beobachten das Ganze von unterm Sonnenschirm aus. Olgas Mama erzählt ein paar Geschichten aus ihrem Leben, die Olga übersetzt.

Süße Folklore

Süße Folklore

Ebenso wie Olga kann sie sich sehr für Sushi begeistern. Also wage ich es nochmal. Ach, von meiner Sushi-Entjungferung und den Faux Pas’s, die ich mir geleistet habe, habe ich bisher hier geschwiegen, hm?
In Kiev stelle ich mich jedenfalls weniger beschränkt an und habe das mit den Stäbchen fast im Griff. Diesmal strafe ich die Anfängerstäbchen mit abfälliger Ignoranz, werde euch die unvorteilhaften Fotos von mir und wehrlosem Frischfisch doch vorenthalten. Verzweifelt aufgerissender Mund, davor baumelnder Reisklumpen, sojatriefig, meine Augen auf Schlamfzimmerblickmodus. Aber mmmmh.

Den Abend verbringen wir am Fluss, aber ich gehe schon früher zurück nach Hause, mein Kopf brummt, so viele Eindrücke, so viel Sonne. Eine einfache Metro-Fahrt wird für mich zum Abenteuer. Ich habe nie auf den Weg geachtet, mich immer auf Olga verlassen – und jetzt soll ich kleines müdes Westmädchen mich in der ukrainischen, kyrillischen Metro zurechtfinden? Ja. Olga schreibt mir alles genau auf, wo ich umsteigen muss, wieviele Haltestellen, wohin dann. Fast hätte ich mich zu sehr von düster dreinschauenden Gestalten ablenken lassen und meine Haltestelle verpasst. Aber doch nur fast, ein bisschen stolz (auf Metrofahren, stellt euch das mal vor.) und geflutet mit Reizen schlafe ich ein.

Der nächste Tag ist tatsächlich schon der letzte. Ohne feste Pläne zeigt mir Olga noch all das, was sie sehenswert findet. Aber es ist noch so Einiges offen geblieben. Als ob Olga allein als Grund nicht ausreichen würde, um wiederzukommen.

Badass Lady Soviet grüßt zum Abschied

Badass Lady Soviet grüßt zum Abschied

Von Steinen, Eierfotos und der Stadt der Löwen – Annas Ukraine No.1

7 Mai

Ich bin zurück. Nach 23 Stunden Zug und Bus durch Ukraine und Polen und einem sonnigen Ausschlaftag kann ich jetzt meinen Lieblingskaffee in einem der Lieblingscafés in Wrocław trinken und versuchen, euch einen Bruchteil meiner ukrainischen Eindrücke einzuflößen wie meinen schwarzen Aeropress-Kaffee, der meinen Kopf gerade durchpustet. Hoffentlich schafft er es, all die Reize der letzten Tage zu ordnen und den Brei der langen Reise zu in Würfelzuckergröße zu packen.

Auf die Plätze
Es geht los. Dienstagabend um 23.47 geht unser Zug nach Krakau. Die erfahrenen Polen-Zugfahrer werden sich fragen, warum in Teufels Namen wir denn um diese Uhrzeit mit diesem furchtbar vollgestopften Zug sechs Stunden auf den Schienen verbringen, wenn wir doch einfach den Link-Bus nehmen könnten und in drei komfortablen Stunden am Halbziel angekommen sein könnten. Sie werden allerdings auch wissen, dass das deutlich teurer als Zugfahren ist.
Während ich unter einer blutenden dicken Softballlippe vom Training vor ein paar Stunden leide, erleidet Olga einen kleinen Kulturschock. Dass Züge so vollgepackt mit lauten und schwitzigen Hartschalenkofferleuten gepackt sein können, hat sie bisher nicht gewusst. Da liegen Leute im Gang!
Da lobe ich mir das Survival Training, das ab und zu bei der Deutschen Bahn inklusive angeboten wird.
Olga sitzt in einem anderen Abteil und schafft es tatsächlich, zu schlafen. Bei mir tümmelt sich der grölende Pöbel, der den ganzen Wagon wachhält. Ein safteres Wort als „Pöbel“ fällt mir nicht ein, die ganze Fahrt über nicht – dabei habe ich ausreichend Zeit zum Überlegen, der Schlafluxus bleibt mir vergönnt.
Der zweite Zug ist angenehmer, deutlich. Ich schlafe bis fast zur polnisch-ukrainischen Grenze. Bis zur tatsächlichen Grenze bringt uns ein Rappelbus, in dem Olga eine Bekannte trifft, mit der wir bis nach Lviv weiterfahren. An der Grenze lernen wir noch einen Polen kennen, der ganz froh ist, ortskundige Hilfe zu bekommen – ich wäre ohne Olga wahrscheinlich auch überaufgeschmissen bei all dem Kyrillisch.
Nachdem mein terroristisches Reisepassbild zweimal kritisch mit meinem freundlichen Grinsegesicht verglichen wurde, fahren wir mit dem Bus durch die blühende Apfelbaumlandschaft. Und dann kommen wir in Lviv, der Stadt der Löwen, an.

Lviv
Wir übernachten und speisen köstlich bei der Familie einer Freundin von Olga. Meine zwei Wörter Ukrainisch reichen, um mit der Mutter z kommunizieren, die Tochter war mit dem gleichen Programm wie Olga in den USA, da ist mehr Gespräch möglich.
Vielleicht hätte ich Olga nicht erzählen sollen, dass mein Vater sich viele ansehnliche Fotos des Ukraine-Abenteuers wünscht, denn ab jetzt scheucht sie mich durch die Stadt und platziert mich zwischen Löwen, ukrainischen Ostereiern und willkürlichen Fotomotiven.

"Ich mach ein Foto, Anna in den Straßen von Lviv, ok?"

„Ich mach ein Foto, Anna in den Straßen von Lviv, ok?“

Ei und Nachmacher im Hintergrund

Ei und Nachmacher im Hintergrund

Löwenkram und meine unfassbare Lust auf gestellte Fotos

Löwenkram und meine unfassbare Lust auf gestellte Fotos

Die Stadt gefällt mir, aber sie ist so gar nicht, wie ich mir eine ukrainische Stadt vorgestellt habe. Aber ich höre von allen Seiten, das Lviv unvergleichbar mit anderen Städten ist. Ehrlich gesagt, finde ich das schon. Sie erinnert mich an polnische Städte, vielleicht ein bisschen romantischer. Löwenstatuen tümmeln sich rund um den Rynek, ebenso die Touristen. Von meiner platten Aussage, dass ich die Stadt mag, ist Olga enttäuscht. Ich höre mir zum wiederholten Mal an, dass ich ein deutscher Stein ohne Emotionen bin – warum bin ich nicht so euphorisch wie sie? Dann erzählt mir Olga, dass Lviv für sie eine Urlaubsstadt ist, ein Ort zum Ausspannen, mit dem sie tolle Zeit mit tollen Leuten verbindet. Es sind die Erinnerungen, die dort entstehen, die die Stadt so besonders machen.
Wir machen uns also daran, Erinnerungen zu schaffen. Am ersten Abend treffen wir Johannes und Clara, ASFler auf der Ukrainedurchreise, das lange Wochenende wissen wir wohl alle gut zu nutzen. Später tingeln wir mit Freunden von Olgas Freundin weiter und fallen irgendwann sehr k.o. ins Bett, endlich, ein Bett, keine harte Zuganlehne.

Ein voller nächster Tag. Zuerst streifen Olga und ich durch die Pflastersteinstraßen und genießen. Der ganze Trip ist ein dicker fetter Genuss. Wir steigen hinab in Kaffeeminen und Kellerkneipen. Wir quetschen uns Treppenhäuser hoch und besteigen Aussichtstürme, essen ukrainische Gerichte, deren Namen ich mir nicht merken kann und handgemachte Pralinen.

Rathausblick

Rathausblick

Wysoki Zamek Spaß

Wysoki Zamek Spaß

Da oben haben wir dann den Polen vom Grenzübergang wiedergetroffen – die Welt ist so klein. Mit ihm, seinem Bruder und einem Freund haben wir sind wir dann weitergezogen zu einer Kneipe mit eigenem ungefiltertem Bier. Wir reden hauptsächlich Polnisch, aber Olgas ukrainische Freundin antwortet meistens auf Englisch. Das hört ein Nachbartischsmensch aus Kanada und klingt sich ins Gespräch mit ein, dazu kommt später sein deutscher Warschau-Erasmusfreund und aus einem Bier werden zwei. Plötzlich endet der Abend abrupt: Wir müssen unseren Zug nach Kiev kriegn. Also tschüss und wer weiß, die Welt ist klein.

Nachtzug
Im Vorhinein hat Olga ein kaltes Horrorszenario an meine Hirnrinde plakatiert. Sie verglich polnische Nachtzüge mit Baracken in Auschwitz. Makaber wegen Unmöglichkeits des Vergleich. Dementsprechend alamiert und aufs Schlimmste gefasst betrete ich also den Zug. Wenn es in Polen schon so furchtbar sein sollte, wie sieht es dann bitte in der Ukraine aus? Ich will mich ja überhaupt nicht als voruteilsfrei brüsten.
Als ich unseren Schlafbereich sehe, denke ich an ein Paradies in Rot-Samt. Gemütlich, wohltemperiert und sogar noch ausgestattet mit einem interessaten Liegen-Nachbarn, dessen verflixten Namen ich immer wieder vergesse.
Er zählt von seiner Per-Anhalter-durch-Europa-Tour und lädt uns ein, mit ihm und seinen Kumpels wandern zu gehen. Allerdings checkt er zuerst unsere politische Haltung ab, weil seine Freunde „krasse Marxisten“ sind und er keine Lust auf riesige Reibereien hat. Aha, ok. Wir überlegen uns das.
Ich werde von jungen Sonnenstrahlen durch Zuggardinen geweckt und dann kommt auch schon eine Zugbegleiterin und fragt, ob wir Tee oder Kaffee wollen. Tee, bitte. Und dazu essen wir frisch gebackenes Osterbrot von unserer Gastmutter in Lviv. „Osterbrot für einen veganen Atheisten“, kommentiert unsere Zugbekanntschaft trocken sein regelbrechendes Zugfrühstück.

Guten Morgen, guter Morgen

Guten Morgen, guter Morgen

So, der erste Teil der Reise ist geschafft. Vom zweiten Teil erzähle ich euch demnächst mehr. Von verschwitzten Rucksackrücken und einsamen Zarenparks und viel mehr kleinen Sachen.