In der Zwischenzeit ist schon wieder so viel passiert. Meine Waden sind zum Mückenparadies geworden, mein Oberschenkel zur Zeckenherberge. Der Auftakt der ASF-Sommerlager-Saison. Mehr davon nicht jetzt, ich vertröste euch aufs nächste Mal.
Die Eindrücke aus der Ukraine konnten sich ein bisschen setzen, wahrscheinlich bekomme ich es aber gar nicht mehr so genau auf die Reihe, wann was genau war. Das liegt nicht daran, dass ich mit gutem ukrainischen Wodka die entscheidenden Gehirnzellen ins Universum katapultiert hätte. Oder wohin auch immer die sich verabschieden. Ich habe überhaupt gar keinen Wodka in der Ukraine getrunken. Dafür viel frischen Kwas (googelt es, mmmmmh.) und so was wie Honigwein.
Prima, Anna. Klischee erfüllt, direkt mit dem Alkohol angefangen.
Kiev
In Kiev geht es sehr unalkoholisch und früh morgens und frisch los. Gegen halbneun betreten wir, zugausgeschlafen, einen sonnigen, menschenleeren Zarenpark. Ein riesengrünes Gelände. Ich staune. So verlassen! Aber klar, Menschen arbeiten und wir sind die einzigen, die entspannt durch die Gegend schlendern. Ein paar Hundeleute streunen umher, zufällig wirkende Tulpenbeete, Sonnenstrahlen brechen durch das schattige Laub.
Olga zeigt mir ihren Lieblingsplatz. Als zur vollen Stunde Märchenmusik erklingt, muss ich noch mehr an Prinzessinnenschloss denken. Wir sitzen auf der Bank und ich will nie wieder aufstehen. Höchstens, um mir die Zähne zu putzen und nochmal richtig zu frühstücken. Ach so. Ich soll raten, was das für ein Gebäude ist. Ich stelle mich dumm an. Lieber gebe ich Rätsel auf, als selbst zu kniffeln. Und es ist ja irgendwie doch noch früh.
„Common, it’s so easy“, okay. Das Puppentheater. Genug gerätselt, ich habe Hunger jetzt.
Frühstück. Von meiner morgendlichen Müsli-Idee verabschiede ich mich schnell. Frühstück im deutschen Sinn ist nicht drin. Aber ich lasse mich gerne drauf ein, viel Essen geht meistens, warm auch – ich bin da unstreng.
Hier merke ich, dass es eigentlich egal ist, wann man was isst. „Wann man was isst“ gibt es nicht. Iss‘ was du willst, wann du willst. Brötchen und so Firlefanz, Aufschnitt, Pipapo, so was steht nicht auf dem Programm.
An kalter Suppe und kiever Kotlett finde ich schnell Gefallen. Zuhause angekommen werde ich vielleicht auf den absurden Gedanken kommen, dass das fürs Frühstück völlig unpassend ist. Losgelöst von jeglicher Konvention lassen wir es uns schmecken. Mein Organismus gewöhnt sich schnell daran, dass es jetzt öfter als sonst Fettiges gibt. Falls das abschätzig klingt, verstehen wir uns falsch. Ich steh‘ auf ukrainisches Essen, egal zu welcher Uhrzeit.
Wir treiben weiter durch die Stadt. Uns begegnen einige deutsche Reisegruppen. Ich muss wohl nicht erwähnen, wie wir sie schon vom erkennen können. Während mich diese deutschen Touristenscharen eher nerven, freut sich Olga, dass sie die ukrainische Wirtschaft hübsch ankurbeln. Und mir fallen die ganzen russischen Touristen überhaupt nicht auf, während Olga sich über den russischen Akzent amüsiert. Ich kann den Unterschied zwischen ukrainischem Russisch und russischem Russisch nicht so ganz festmachen, aber da ist mein Westohr wohl zu ungeschult für.
Abends führt Olga mich noch in verlassene Ecken der Innenstadt. Irgendwie kommt es mir so vor, als sei alles und nichts Innenstadt. Da es überall grün aus der Erde schießt, fühle ich mich wie in einem riesigen Park. Wie eine Hauptstadt fühlt es sich nicht an. Auch, weil so viele über Ostern die Stadt verlassen, urechte Kiever ibt es wohl nicht so viele, die meisten sind Immis, die es zu so österlichen Festlichkeiten nach Hause zieht.
So sind wir fast alleine bei einem Fort, das sich plötzlich hinter einer gemütlichen Wohnanlage und fast neben dem neuen Stadion auftaucht. Um Poser-Fotos komme ich nicht drumrum. Ich verdrehe die Augen, weiß ich da ja noch nicht, was für Sessions morgen auf mich zukommen werden.
Bierabend am Fluss mit Sand zwischen den Zehen, es ist Sommer.
Als ich Olgas Mutter kennenlerne, liege ich mit Sandmann im Auge im Bett. Abgemacht war, dass Olga ihre Mutter vom Bahnhof abholt und die beiden mich dann später gegen zehn abholen. Um acht klopft es. Um neun hätte mein Wecker geklingelt. Guten Morgen, keine Ahnung, was das auf Russisch heißt. Das ist leider die einzige Sprache, die Olgas Mama spricht, aber das macht nichts. Ich mag sie trotzdem. Ein bisschen ähnelt sie tatsächlich dieser Puppe, die sie Olga mal genäht hat.
Während die beiden draußen rauchen, mache ich mich katzenwäschefertig. Wir wollen in einen Park (als ob die ganze Stadt nicht schon parkig genug wäre), so eine Art Freilichtmuseum. Freieimuseum passt besser. Endlich wieder ukrainische Eier, endlich wieder gestellte Fotos!
Von Fotos vor Willkürlichem scheint Olgas Mama auch ein großer Fan zu sein. Beim Versuch, mich „entspannt“ aussehend auf einem morschen Zaun zu platzieren, zerstöre ich das Teil. Olga feixt. So was machen sonst nur Romancharaktere, aber sie feixt wirklich. Und erstellt gefakete Vorher/Nachher-Bilder. Was für ein Triumph: Anna kommt in die Ukraine und macht was kaputt, klassisches deutsches Verhalten. Ich habe unseren gemeinsamen Humor sehr liebgewonnen.
In diesem Freilichtmuseum wandelt allerlei Folklore. Aber nicht so kitschig, nervig, sondern irgendwie – soll ich „süß“ sagen? Ja, süße Folklore. Wir beobachten das Ganze von unterm Sonnenschirm aus. Olgas Mama erzählt ein paar Geschichten aus ihrem Leben, die Olga übersetzt.
Ebenso wie Olga kann sie sich sehr für Sushi begeistern. Also wage ich es nochmal. Ach, von meiner Sushi-Entjungferung und den Faux Pas’s, die ich mir geleistet habe, habe ich bisher hier geschwiegen, hm?
In Kiev stelle ich mich jedenfalls weniger beschränkt an und habe das mit den Stäbchen fast im Griff. Diesmal strafe ich die Anfängerstäbchen mit abfälliger Ignoranz, werde euch die unvorteilhaften Fotos von mir und wehrlosem Frischfisch doch vorenthalten. Verzweifelt aufgerissender Mund, davor baumelnder Reisklumpen, sojatriefig, meine Augen auf Schlamfzimmerblickmodus. Aber mmmmh.
Den Abend verbringen wir am Fluss, aber ich gehe schon früher zurück nach Hause, mein Kopf brummt, so viele Eindrücke, so viel Sonne. Eine einfache Metro-Fahrt wird für mich zum Abenteuer. Ich habe nie auf den Weg geachtet, mich immer auf Olga verlassen – und jetzt soll ich kleines müdes Westmädchen mich in der ukrainischen, kyrillischen Metro zurechtfinden? Ja. Olga schreibt mir alles genau auf, wo ich umsteigen muss, wieviele Haltestellen, wohin dann. Fast hätte ich mich zu sehr von düster dreinschauenden Gestalten ablenken lassen und meine Haltestelle verpasst. Aber doch nur fast, ein bisschen stolz (auf Metrofahren, stellt euch das mal vor.) und geflutet mit Reizen schlafe ich ein.
Der nächste Tag ist tatsächlich schon der letzte. Ohne feste Pläne zeigt mir Olga noch all das, was sie sehenswert findet. Aber es ist noch so Einiges offen geblieben. Als ob Olga allein als Grund nicht ausreichen würde, um wiederzukommen.