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Von Gräfinnen und anderen Bällen

24 Feb

Ich muss was tun. Es wird Zeit, wirklich. Die Tage, an denen ich das Haus nicht verlasse, häufen sich. Warum sollte ich auch? Abends wünsche ich mir als kopflosem Nick eine Gute Nacht, fühle ich mich doch eher wie ein Hausgeist, der durchs Treppenhaus von Büro zum eigenen Zimmer, runter zur Küche schwebt.
Schweben ist dabei noch ein sehr liebevoller Ausdruck. „Ächzt“ passt besser, „tölpelt“, „trampelt“ und jammert jämmerlich bei den Treppenstufen.
Ich bin eingerastet. Eingefrostet. Die Wochen, in denen ich sogar zweimal in der Woche durch den Park gelaufen bin, liegen Monate zurück. Doch, es ist unglaublich praktisch im gleichen Haus zu wohnen und zu arbeiten. Bis ich merke, dass ich mich schwach fühle, sicher, ich war immer schon „Puddingarm-Anna“ – aber jetzt fließt Wackelpudding durch alle meine Adern. Waldmeistergeschmack, damit ihr euch das Ganze wirklich ekelhaft und verachtenswert vorstellen könnt.

Diese Zeit ist vorbei. Der Winter noch nicht, aber ich trotze ihm. Ich schleppe mich zwar immer noch seufzend die Treppe hoch, aber das Ganze hat mehr an Würde gewonnen. Es ist ein ehrenvoller Anstieg für eine Gräfin wie mich.
Wahrscheinlich ist es übertrieben und pathetisch plump, wenn ich behaupte: Die sportlichste Zeit meines Lebens ist angebrochen.
Aber ich bin jetzt eine Gräfin im ersten und einzigen Softballteam Wroclaws. Eigentlich würde ich gerne noch weiterhin geheimnisvoll herumprollen, dass ich eine Gräfin bin, aber das ist halbwegs lächerlich. Also.
Hrabiny!“ nennt sich das erste und einzige Softballteam Wroclaws, das nun um zwei ambitionierte Mitglieder gewachsen ist, eine hrabina ist eine Gräfin, so. Im Moment ernten wir wahrscheinlich noch innerliches Augenrollen, aber nach Außen werden wir herzlich aufgenommen. Es macht nichts, dass diese Sportart all die Disziplinen vereint, für die ich noch nie ein Talent hatte. Werfen, Fangen, mit einem Schläger irgendetwas Treffen, was danach nicht blutet oder für immer zerstört ist – klingt nach einer Sportart, wie für mich geschaffen!
Aber ich dachte mir, ich muss irgendwas machen (s.o.). Egal, was. Und dann war da Olga, die meinte, komm, wir machen was. Und das war dann das, Softball. Eigentlich war sie auf der Suche nach einem Basketballteam, aber anscheinend gibt es hier nur männliche. Doch dazu später.
Volleyball habe ich kategorisch ausgeschlossen, da verletze ich mich wirklich jedes Mal bei. Mit Basketball habe ich zumindest keine negativen Erfahrungen gemacht und mit Softball gar keine. Also: Die ideale Sportart für mich.
Das Bekloppte ist: Es macht tatsächlich Spaß. Und was Spaß macht, wird irgendwann gut.
Wobei ich erstaunt war, wie wenig schlecht ich eigentlich beim ersten Softballtraining gemacht habe.
Meine Hand steckte in dieser Löwenhöhle von Lederhandschuh, es ist heißt, schwitzig und stickig. Kasia wirft den Ball, meine linke Hand samt Pumakäfig reckt sich zu dieser neonfarbenen Herausforderung, ich spüre eine Erschütterung im ganzen linken Arm, meine rechte Hand fixiert den Neon-Ball in der Lederpranke. So was mache ich doch mit links.

Um den Integrationsprozess ein bisschen voran zu treiben, nehmen wir an der Geburtstagsparty der Partnermannschaft, dem KSB Wroclaw, Baseball, teil. So viele Basecaps im Club auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen. Allerdings war ich auch vorher noch nie auf dem neunjährigen Geburtstag eines Baseballteams und hätte nie damit gerechnet, dass das in meinem kleinen sportdesinteressierten Leben je vorkommen könnte.

Gräfinnen, nicht nur trinksporttalentiert

Gräfinnen, nicht nur trinksporttalentiert

Wenn ich mich hierbei von der sportlichsten Zeit meines Lebens profiliere, kann das noch nicht alles sein. Das wäre ja ein Witz. Also: Einmal wöchentlich Softballtraining in der Halle. Einmal wöchentlich mit dem Softballteam ins Fitnessstudio. Und einmal in der Woche Basketballtraining.
Eine der Softballerinnen hat von unserer Suche nach einem weiblichen Basketballteam gehört und uns prompt mit zu ihrem Frauen-Basketballteam mitgenommen – gibt es nämlich doch! Ein bisschen scheue ich mich, diese Frauschaft „weiblich“ zu nennen,“Mannschaft“ passt ganz gut, ich belasse es dabei, #Aufschrei.
Wir betreten die Halle, Bälle fliegen uns um die Ohren, „Ladies, reiht euch ein hier!“. Selten habe ich mich so orientierungslos gefühlt – dabei ging es nur um ein paar Würfe hin und her und dann auf den Korb. Überfordert hoppse ich durch die Halle, treffe aber gütigerweise nicht auf strafend verachtende Blicke. Das Spiel gegen die Fußballmannschaft schmeißt mich dann entgültig ins kalte Wasser, fischig strample ich herum und staune, als von der Zuschauerbank trotzdem ein „rewelacja!„, Sensation!, kommt. Nicht mal ironisch gemeint!
Es wird noch ein harter Kampf mit dem Sport. Wenn ich Sport gemacht habe, war ich immer irgendwie Einzelkämpferin – und jetzt? Direkt zwei Mannschaftssportarten, mit Bällen!

Dieses Jahr überrascht mich immer wieder. „Was genau machst du hier eigentlich, hm?“ frage ich mich gar nicht so selten. Und die Antwort ist oft „Ist doch egal, wenn es glücklich macht.“ Meistens reicht „Spaß“ auch schon. Vielleicht ist das einen Tacken zu hedonistisch, aber sieh‘ mal einer an: Ich habe mich trotz Hedonistentum um einen Praktikumsplatz für „danach“ gekümmert, den ich strebsam so gelegt habe, dass ich pünktlich zum Wintersemesterbeginn meine Praktikumsbescheinigung in den Händen halte. Was auch immer ich dann studieren werde. Die Brötchen, die ich hier backe, sind nun auch nicht größer als Softbälle.

Wie schaffe ich eine gelungene Überleitung von Softbällen zu Pani Nowak?
Pani Nowak war sicher auch mal sehr sportlich.

Am Wochenende kommt Sascha, ukrainischer ASF-Freiwilliger in Oswiencim, um ein Interview mit Pani Nowak zu filmen. Für diesen besonderen Besuch hat sie extra Lippenstift aufgelegt. Auch sonst ist sie gut aufgelegt. Sie zu interviewen, gezielt Fragen zu stellen, stellt sich allerdings als halbmögliches Ding der Unmöglichkeit dar. Die ersten anderthalb Stunden des „Interview“ erzählt sie einfach drauf los. In alle Richtungen. Auch, wenn ich merke, dass mein Polnisch im Vergleich zum letzten Besuch bei ihr deutlich besser ist, kann ich hier irgendwann nicht mehr folgen. Es geht von Stalins Beerdigung, an der sie teilgenommen hat, zu einem Besuch bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth, zu den polnischen Dokumenten, die ihre jüdischen Eltern in einer Kirche gekauft haben und sich und ihre Familie so vor den Nazis retten konnten. Harter Tobak, von dem Pani Nowak aber gerne erzählt und auch nur aufhört, wenn man die Tür von außen wieder schließt.

Das Filmteam mit Akteurin

Das Filmteam mit Akteurin

Nun, eine diesig fiesige Aussicht Wroclaws, bitteschön. Ich erhelle das Ganze betrüblicherweise nur margial.

Oben

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Aktion, Reaktion und viele gute Wünsche

24 Aug

Langsam fällt es mir schwer, nicht in vollkommen kitschiger Euphorie zu versinken, wenn ich von meinem nächsten Jahr erzähle.Und ich werde wirklich oft danach gefragt. Seit wir alle nicht mehr zur Schule gehen und uns gezwungenermaßen jeden Tag sehen, mangelt es irgendwie auch an Informationsfluss. Wer macht was? Und so Sachen.

„Ich mach erst mal Praktika…“

„Erst mal Work&Travel und dann mal sehen…“

„Jura. Jura in Bonn, ganz klar.“

„Wahrscheinlich Medizin, aber der NC…naja, ich denk schon, dass das klappt.“

„Joa, FSJ, damit ich Wartesemster sammle..“

Und dann bin da noch ich mit meinem nicht unbedingt nachvollziehbaren Vorhaben, einen Friedensdienst in Polen zu machen. In einem Projekt, von dem ich nicht mal genau weiß, was mich da erwartet. Wenn ich das erzähle, gibt es ziemlich unterschiedliche Reaktionen.

  • Ich werde angeguckt, als hätte ich eine seltene, aber furchtbar komplizierte Krankheit. Da schwingt ein bisschen Mitleid im Blick mit, obwohl sich viel Mühe gegeben wird, das zu verbergen. „Was willst du denn in Polen, bitteschön? Also das wäre ja gar nichts für mich. Wie kommt man denn auf so eine außergewöhnliche Idee?“ Außergewöhnlich können wir hier getrost mit „bescheuert“ übersetzen, das verändert den Inhalt nur magial.
  • Mir begegnet ein verdutzter, überraschter Blick, der von echter Neugier zeugt. „Aha? Polen? Ach, das ist doch mal was Anderes. Mensch, Anna – das finde ich eine richtig gute Idee! Stark, wirklich! Du ziehst dein Ding echt durch, Respekt!“ Dazu kommt ein herzliches, kumpelhaftes Auf-die-Schulter-Klopfen und ein anerkennendes Lippenkräuseln.
  • Ich blicke in Augen, die in Großmutter-Manier zu mir sprechen. „Wahrscheinlich weißt du ja schon, auf was du dich da einlässt… Aber die Sprache, das sind ja beinah Hieroglyphen, hast du nicht Angst vor der Sprachbarriere? Und wo wohnst du denn da überhaupt, musst du dich darum noch kümmern?“An dieser Stelle ist es wohl angebracht, den Irrtum aus der Welt zu schaffen, Polen schreiben Kyrillisch. Tun sie nicht. Von zukünftigen Freiwilligen, die nach Russland oder in die Ukraine gehen, habe ich mir aber auch sagen lassen: Ist alles halb so wild mit Kyrillisch. Und die andere offene Frage: ASF kümmert sich rührend um seine Freiwilligen, so muss sich niemand seine Unterkunft auf eigene Faust suchen. Ich werde sogar direkt im Edith-Stein-Haus wohnen, ist das nicht luxuriös?
  • Tatsächlich kommt mir hin und wieder auch ein neidischer Blick unter. „Wow, echt – ich hätte so was auch gerne gemacht, das wäre voll mein Ding gewesen. Glückwunsch! Du scheinst ja voll den Plan zu haben, so mit Perpektive und so!“
  • Klar, der abfällige und spöttische Blick bleibt mir auch nicht erspart. „Haha, Polen-Opfer. Wollten’se dich für die USA nicht? Aber gut, lernste halt, wie man richtig Autos klaut – kann auch nicht schaden.“ Hinzu kommt ein Kann-man-nix-machen-Schulternzucken.

Worin sich die Reaktionen aber alle ähneln, das sind die warmen abschließenden Worte.

…wie auch immer, ich wünsche dir alles Gute! Hoffentlich ist es nicht allzu schwierig für dich am Anfang. Aber ich glaub, du machst das einfach. Mach deine Erfahrungen, das ist so wertvolle Zeit jetzt. Viel Spaß und so, lass dich nicht klauen.

Hier trudelt in letzter Zeit immer mehr Post für mich ein. Gute Wünsche von Großtanten und besten Freundinnnen von Mama, kleine Päckchen mit Büchern mit polnischer Thematik, Kärtchen und Briefe. Und ich weiß kaum, was ich sagen soll, weil ich schon so ziemlich gerührt bin, über diese Leute, die mich so unterstützen oder einfach so an mich denken. Dziękuję bardzo.